Grundprinzipien
Strahlentherapeutische und nuklearmedizinische Verfahren sind umso besser in der medizinischen Praxis anwendbar, je verträglicher sie für den Patienten sind. Deshalb wurden und werden sie immer weiter in Richtung einer möglichst gezielten und gut steuerbaren Strahlenintensität entwickelt. Das minimiert auch die Strahlenbelastung für das Personal in den entsprechenden medizinischen Bereichen.
Andererseits haben neben Patienten und Angehörigen häufig auch Beschäftigte in entsprechenden Behandlungseinrichtungen gegenüber Strahlung häufig erhebliche Bedenken, weil sie mit deren Anwendung unüberschaubare und für den Laien nur schwer nachvollziehbare Gesundheitsrisiken verbinden. In Krankenhausalltag betrifft das oft weniger die direkt in den relevanten Bereichen Beschäftigten, die entsprechend ausgebildet und unterwiesen sind, sondern andere Kollegen, die sich z.B. um unterschwellige und langfristige Risiken sorgen.
Folgende Grundprinzipien sorgen für den Schutz vor ungewollten Wirkungen ionisierender Strahlung
Reichweite
Beispiel: Für die Bekämpfung von Krebserkrankungen durch die Gabe radioaktiver Medikamente werden häufig Radiopharmaka genutzt, die Alphastrahlung aussenden. Diese ist einerseits besonders energieintensiv, so dass sie in der Lage ist, Tumorzellen wirkungsvoll zu zerstören. Andererseits ist die Reichweite extrem gering, in fester Substanz lediglich Bruchteile von Millimetern. Das trägt dazu bei, dass bei der Behandlung den Tumor umgebendes Gewebe nur sehr gering geschädigt wird – besonders dann, wenn mit biochemischen Methoden dafür gesorgt werden kann, dass sich die dem Patienten verabreichte radioaktive Substanz gezielt nur im Tumorgewebe anreichert.
Das bedeutet aber auch, dass für an solchen Therapien beteiligtes medizinisches Personal bei der Handhabung der Radiopharmaka praktisch keine Strahlenbelastung entsteht.
Beispiel: Gegen chronische Entzündungen in Gelenken werden Medikamente gespritzt, die Betastrahlung aussenden. Betastrahlung hat verglichen mit Alphastrahlung zwar eine etwas größere Reichweite von einigen Millimetern in festen Materialien, wird aber bereits durch relativ dünne Metall- oder Kunststoffschichten abgeschirmt. Bei der Handhabung der Radiopharmaka (Herstellung, Aufziehen, Verabreichung) schützen neben Plexiglasabschirmungen (s.u.) und langschenklige Greifhilfen und Abstandselemente die Hände des medizinischen Personals vor ständig wiederkehrenden Strahlenbelastungen.
Abschirmung
Beispiel: In der Brachytherapie werden häufig Betastrahler eingesetzt, indem ein sehr kleiner Strahler über eine Kanüle an die zu bestrahlende Stelle geführt und gleich darauf wieder zurückgezogen wird. Bei den sogenannten Afterloading-Anlagen, mit denen Brachytherapie häufig ausgeführt wird, führt das dazu, dass medizinisches Personal keiner nennenswerten Strahlenbelastung ausgesetzt ist, weil der Strahler sich entweder abgeschirmt in der Anlage befindet oder im Körper des Patienten, wo die Reichweite so gering bleibt, dass sie außerhalb nicht wirksam wird.
Bunkertor, mit großem roten Not-Aus-Knopf an der Wand
Beispiel: Manchmal sind - zum Teil sehr aufwändige - bauliche Abschirmungen erforderlich, um medizinische Strahlenanwendungen sicher durchführen zu können. Ob das der Fall ist, hängt in besonderem Maß von Art und Intensität der angewandten Strahlung ab. So sind zum Beispiel für moderne teletherapeutische Verfahren, die mit hohen Strahlendosen und sehr kurzen Bestrahlungszeiten bestimmte Wirkungen erzielen (stereotaktische Verfahren), zum Schutz der Umgebung sehr hohe Wandstärken und massive Türen/ Tore oder alternativ labyrinthartig versetzte Zugänge nötig. Wegen der hohen eingesetzten Energien kommt es hier auch zu einer Ionisation der Luft, was eine starke Lüftungsanlage zum Schutz des Personals nötig macht.
Andererseits sind bei Anwendung der Strahlung im Körperinneren (Brachytherapie, Radioiodtherapie) die Reichweiten bzw. die Strahlungsintensität so gering, dass sie in herkömmlichen Räumen stattfinden könnten, jedoch werden meist die vorhandenen Bunkeranlagen für die Linearbeschleunige genutzt
Beispiel: Beim Umgang mit Radiopharmaka, die Betastrahlung aussenden, werden unterschiedliche abschirmende Plexiglasabschirmungen verwendet, um die Hände des Personals zu schützen. Auch in Abteilungen, in denen sich Patienten nach der Einnahme von radioaktivem Iod aufhalten, bis dessen Strahlungsintensität unter einen gewissen, für die Allgemeinbevölkerung für unkritisch gehaltenen Grenzwert abgefallen ist, werden bei patientennahen Tätigkeiten zum Teil mobile Abschirmungen zum Schutz des Personals eingesetzt. Wenn aber, was meistens der Fall ist, Patienten selbständig und nicht pflegebedürftig sind, kann die Aufenthaltsdauer von Beschäftigten im Nahbereich der Patienten so gering gehalten werden, dass keine kritische Strahlenbelastung besteht (siehe unten 2.1.5 Abstand).
Hinweis: Persönliche Schutzausrüstung kommt im Bereich von Strahlentherapie und Nuklearmedizin nicht zum Einsatz. Im Gegensatz zur Anwendung von klassischer Röntgenstrahlung, wo Schutzkleidung mit Bleigleichwert z.B. Röntgenschürzen als persönliche Schutzausrüstung zur Standardausstattung zählt und unübersehbar die Vorstellung von sicheren Arbeitsbedingungen für Beschäftigte prägt, führt die Beschaffenheit der hier verwendeten Strahlungsarten dazu, dass eine Abschirmung mit Schutzkleidung nicht möglich ist.
Intensität
Beispiel: Gammastrahlung wird für diagnostische Zwecke bei Szintigrammen eingesetzt, bei denen die Strahlung verabreichter radioaktiver Medikamente von einer sog. Gammakamera aufgenommen wird. Die Bedingung dafür ist, dass Gammastrahlung sehr viele Materialien sehr weitgehend durchdringt, weil es sonst nicht möglich wäre, durch den menschlichen Körper hindurch die Strahlung aufzuzeichnen. Das bedeutet aber auch, dass eine vollständige Abschirmung von Gammastrahlen nur schwer möglich ist. Bei Szintigrammen ist der Schutz vor unerwünschten Wirkungen der Strahlung dadurch sichergestellt, dass bereits extrem geringe Strahlendosen für das Verfahren ausreichen, so dass der Körper des untersuchten Patienten keinen Schaden nimmt. Das gilt umso mehr für Beschäftigte, der Strahlung viel geringer ausgesetzt sind (s.u. Abstand, zeitlich-räumliche Trennung).
Zeitlich-räumliche Trennung
Beispiel: Bei der Teletherapie, der Bestrahlung von Tumoren von außerhalb des Körpers kommt in der Regel durch einen Linearbeschleuniger erzeugte Elektronen- oder Photonenstrahlung zum Einsatz, die durch ihre gute Fähigkeit, Materie gut zu durchdringen, von außen eine therapeutische Wirkung im Körperinneren erzielen kann. Seitdem vor geraumer Zeit die Linearbeschleuniger als ausschließlich temporär wirksame Strahlenquellen die früheren daueraktiven Strahler („Kobaltkanonen“) abgelöst haben, ist die Handhabung solcher Therapien für die Beschäftigten sehr sicher geworden.
Zwar ist es trotz ausgefeilter Verfahrenstechnik weiterhin oft unvermeidlich, dass die Bestrahlung unerwünschte Nebenwirkungen z.B. auf der Haut des Patienten oder an dem Bestrahlungsgebiet benachbartem gesundem Gewebe erzeugt. Beschäftigte sind davon aber nicht betroffen, weil es anders als bei Untersuchungen oder Eingriffen unter Durchleuchtung (Röntgenstrahlung), bei denen nicht selten Beschäftigte in der Nähe des Strahlengangs arbeiten, bei teletherapeutischen Bestrahlungen nicht erforderlich und nicht vorgesehen ist, dass sich Beschäftigte während der Bestrahlung in der Nähe des Strahlungsfeldes bzw. überhaupt im Bestrahlungsraum aufhalten. Der Bestrahlungsraum ist während der laufenden Bestrahlung ein sogenannter Sperrbereich, der nach Strahlenschutzverordnung nur in besonderen seltenen Ausnahmefällen von beruflich exponierten Personen betreten werden darf. Bei medizinischen Anwendungen ist mit solchen Fällen praktisch nicht zu rechnen, weil im Falle eines plötzlichen Hilfebedarfs beim Patienten die Bestrahlung sofort ausgesetzt werden kann.
Abstand
Alle oben beschriebenen Maßnahmen führen dazu, dass Beschäftigte in Nuklearmedizin und Strahlentherapie in aller Regel keiner grenzwertüberschreitenden Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Trotzdem ist – verfahrensabhängig mehr oder weniger – an einigen Stellen eine minimale Belastung möglich. Das ist nicht zuletzt dadurch der Fall, dass bei einigen Verfahren für eine gewisse, kurze Zeit (in der Regel über einige Stunden bis zu wenigen Tagen) sehr geringe Dosen radioaktiver Strahlung vom behandelten Patienten ausgehen. Damit ausgeschlossen werden kann, dass sich solche minimalen Dosen über viele Berufsjahre zu einer kritischen Gesamtdosis aufsummieren, sehen die Arbeitsverfahren in den betroffenen Bereichen vor, dass der enge Kontakt zu Patienten auf ein erforderliches Minimum reduziert wird (siehe dazu auch 2.3 Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit).
Organisatorische Maßnahmen
Beim beruflichen Umgang mit ionisierender Strahlung müssen die Vorgaben des Strahlenschutzrechtes eingehalten werden:
- Strahlenschutzgesetz
- Strahlenschutzverordnung.
Das erfordert eine Strahlenschutzorganisation, die unter anderem folgende Bereiche regeln muss:
- Für die entsprechenden Abteilungen muss ein Strahlenschutzbeauftragter (SSB) durch den Strahlenschutzverantwortlichen benannt und der zuständigen Aufsichtsbehörde angezeigt sein (§ 70 StrlSchG). In größeren Institutionen oder Unternehmen gibt es häufig sogenannte Strahlenschutzbevollmächtigte, die im Auftrag des Strahlenschutzverantwortlichen bestimme Aufgaben und Pflichten, wie z .B. die Bestellung von Strahlenschutzbeauftragten übernehmen. Die Ausbildung des SSB muss dem angewendeten Verfahren entsprechen. Der Strahlenschutzbeauftragte hat sicherzustellen, dass die Verfahren wie vorgesehen und mit den nötigen Schutzvorgaben (s.u.) ausgeübt werden.
- Alle Beschäftigten, die „im Rahmen einer anzeige- oder genehmigungsbedürftigen Tätigkeit tätig werden“ bzw. die Zugang zu Kontrollbereichen nach StrlSchG haben, müssen mindestens jährlich über die Risiken und Schutzmaßnahmen dokumentiert unterwiesen werden (§63 StrlSchV).
- Personen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Strahlung ausgesetzt sind (beruflich exponierte Personen), müssen durch den Arbeitgeber erfasst und „zur Kontrolle und ärztlichen Überwachung“ den Kategorien A (es ist Normalbetrieb mit einer erkennbaren Strahlenbelastung zu rechnen) oder Kategorie B (es ist im Normalfall nicht mit einer relevanten Strahlenbelastung zu rechnen) zugeordnet werden (Grenzwerte siehe §71 StrlSchV). Die Zuordnung muss im Einzelfall nach Gefährdungsbeurteilung durch den Strahlenschutzbeauftragten erfolgen.
Hinweis: Zur Einstufung zu den Tätigkeitskategorien sollten alle Zuständigen (Strahlenschutzbeauftragter, zuständige Führungskräfte bzw. Bereichsverantwortliche, Betriebsarzt/ untersuchender Arzt) zusammenarbeiten, um einerseits alle betroffenen Beschäftigten sicher zu erfassen und andererseits unnötigen Untersuchungsaufwand zu vermeiden. - Die eingesetzten Anlagen müssen entsprechend den gesetzlichen sowie den Herstellervorgaben angezeigt, genehmigt, betrieben, geprüft und gewartet werden (u.a. §88 StrlSchV). Dazu die erforderliche medizintechnische Kompetenz erforderlich. Der ordnungsgemäße Zustand ist wichtig, damit unzulässige Strahlenexpositionen für Patienten, Beschäftigte und Dritte sicher vermieden werden können.
Grundsätzlich müssen an allen Personen, die sich in Strahlenschutzbereichen aufhalten (Patienten ausgenommen), die Strahlendosen ermittelt werden, die auf den Körper einwirken (§64 ff StrlSchV). Ausnahmen sind bei sehr geringer Strahlenexposition möglich, z. B. bei diagnostischen nuklearmedizinischen Anwendungen wie Szintigrammen. Die Entscheidung trifft der Strahlenschutzbeauftragten in einer Gefährdungsbeurteilung. Je nach zu erwartender Strahlenbelastung auf bestimmte Körperteile werden unterschiedliche Dosimeter eingesetzt, die in festgesetzten Fristen durch die dafür vorgesehene und zugelassene Messstelle ausgewertet werden müssen.
Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit
Die Strahlenschutzgesetzgebung sorgt dafür, dass der Schutz von Menschen allgemein vor nicht natürlicher Strahlenbelastung innerhalb sehr enger Grenzen abläuft. So dürfen - am Beispiel eines medizinischen Eingriffs - unbeteiligte Dritte, die weder Patienten noch Beschäftigte sind, durch die Anwendung radioaktiver Strahlung keiner erhöhten Strahlendosis ausgesetzt werden. Daher sind für Patienten z.B. nach Szintigraphien oder bestimmten strahlentherapeutischen Behandlungen Schutzmaßnahmen verbindlich wie Abstand zu anderen Personen, besonders Babys und Kindern. Dabei wird von einem theoretisch maximal engen Kontakt ausgegangen, der zu einer möglichen Grenzwertüberschreitung der sehr niedrigen Schwellenwerte für unbeteiligte Dritte führen könnte. Für Beschäftigte im Gesundheitswesen gelten demgegenüber erstens als beruflich exponierte Personen etwas höhere Grenzwerte, vor allem aber ist ein körpernaher Dauerkontakt mit radioaktiv behandelten Patienten im Arbeitsumfeld ausgeschlossen.
Aus Gründen des Schutzes im öffentlichen Raum dürfen daher radioaktive Strahler auch nur unter spezifischen Auflagen transportiert werden (z.B. muss nach Gefahrgutverordnung ein Gefahrgutbeauftragter benannt sein), auch wenn es sich schlicht um einen Metallbehälter in einem Pappkarton handelt, der in einer medizinischen Abteilung in nahezu jedem beliebigen Lagerraum abgestellt werden kann.
Ebenso müssen die gesamten Abwässer aus Abteilungen, in denen Radioiodtherapien durchgeführt werden, wegen ihrer (wenn auch nur sehr geringen) radioaktiven Belastung durch die Ausscheidungen von Patienten in Abklingbecken gelagert werden, bevor sie ins öffentliche Abwassersystem eingeleitet werden dürfen.
Für Beschäftigte im Gesundheitswesen kann es schwer nachvollziehbar sein, dass einerseits beruflich exponierte Personen vorschriftenkonform mit relativ wenigen Auflagen mit strahlenden Substanzen in ihrem Arbeitsalltag umgehen dürfen, andererseits (auf Grund einer gänzlich anderen Risikobewertung, nach der selbst minimale, unkritische Strahlenbelastungen vermieden werden müssen) sehr strikte Regelungen zum Schutz der Öffentlichkeit eingehalten werden müssen. Hier ist eine gute Aufklärung in der Unterweisung durch den zuständigen Strahlenschutzbeauftragten erforderlich.