Postexpositions-Prophylaxe (PEP)
Stand: 06/2025

Nadelstichverletzungen | Einflussfaktoren und Schutzmaßnahmen
NV Postexpositions-Prophylaxe (PEP)

Im ungünstigsten Fall führen eine Nadelstichverletzung (NSV) oder eine Verletzung mit einem anderen spitzen und scharfen Instrument zu einer Infektion. Obwohl prinzipiell alle per Blut übertragenen Krankheiten als Infektion infrage kommen, sind in der Praxis hauptsächlich Hepatitis B und C sowie HIV relevant. Im Fall einer Infektion mit Hepatitis B oder HIV stehen Postexpositions-Prophylaxen (PEP) als wirksame Maßnahmen zur Verfügung, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern.

Wichtig ist ein richtiges und schnelles Handeln gleich nach erfolgter Verletzung. Abbildung 1 zeigt das prinzipielle Vorgehen, bei dem sich nach dem Einleiten notwendiger Sofortmaßnahmen unmittelbar eine Bewertung des Infektionsrisikos für die drei beschriebenen Virenarten anschließt.

Abbildung 1: Vorgehen nach einer Nadelstichverletzung

Zustimmung

Dabei ist zu beachten, dass für eine Blutuntersuchung die Zustimmung der Betroffenen vorliegen muss. Die Blutuntersuchung der betroffenen Person dient dabei gleichermaßen dem Ausschluss einer bereits bestehenden Infektion, als auch der Klärung des weiteren Vorgehens. Sinnvoll ist das generelle Einholen der Zustimmung von Patientinnen und Patienten des Krankenhauses als mögliche Indexpersonen direkt bei ihrer Aufnahme. Eine Ablehnung seitens der Indexperson ist dabei zu respektieren.

Zuständigkeit

Nach einer NSV ist sofort ein fachkundiger Arzt bzw. eine fachkundige Ärztin hinzuzuziehen (insbesondere im Fall einer potenziellen HIV-Infektion), im Idealfall ein D-Arzt oder eine D-Ärztin. Auch im Falle einer Schwangerschaft der Infizierten sollte besonderer fachlicher Rat eingeholt werden – beispielsweise in Bezug auf die Auswahl der Medikation. Sowohl die Zuständigkeit, als auch das gesamte Procedere im Falle einer solchen Verletzung sollten im Krankenhaus geklärt und kommuniziert sein.

Kommen die Beteiligten nach dem Bewerten des Risikos zum Ergebnis, dass ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, veranlassen sie bei einer HVB- oder HIV-Infektion das Einleiten einer PEP. Die Entscheidung obliegt dem zuständigen Arzt bzw. der zuständigen Ärztin – natürlich vorbehaltlich der Zustimmung der verletzten Person. Welcher Arzt oder welche Ärztin generell zuständig ist, ist in einem Notfallplan festzulegen.

Zeithorizont

Die Entscheidung über das weitere Vorgehen muss sehr schnell getroffen werden. So sollte eine PEP für Hepatitis B nach spätestens sechs Stunden erfolgen. Für HIV gilt: je früher, desto besser. Idealerweise erfolgt die PEP hier innerhalb der ersten zwei Stunden, da in diesem Zeitraum noch gute Ergebnisse zu erwarten sind. Sind nach der Exposition mehr als 72 Stunden vergangen, ist der Beginn einer PEP nicht mehr indiziert. Zeitunkritischer ist es im Fall einer möglichen Hepatitis-C-Infektion.

Statistik

In einer Studie wurden zwischen 2010 und 2012 die (gemeldeten) Nadelstichverletzungen bei einem Durchgangsarzt am Universitätsklinikum Frankfurt untersucht. in 18 Monaten wurden dem Arzt 519 NSV gemeldet. Das Ergebnis:

 
  • 86 % der Indexpatienten wurden serologisch auf HBV, HCV und HIV untersucht
  • bei 2 Indexpatienten wurden Erstdiagnosen auf aktive HBV und HCV gestellt
  • rund 20 % der Indexpatienten wies mindestens eine durch Blut übertragbare Infektion auf
  • rund 82 % der Betroffenen wiesen zum Zeitpunkt der NSV ein anti-HBs ≥ 100 IE/L auf, 14 % zwischen 10 und 100 und 4 % von < 10
  • 16 Beschäftigte NSV bei einem HBV-positiven Indexpatienten (zwölf ≥ 100, drei > 10 < 100)
  • alle Beschäftigte mit einem Wert < 100 erhielten eine HBV-Auffrischungsimpfung (eine Ausnahme wegen Ablehnung)
  • bei 41 Beschäftigten wurde eine HIV-PEP initiiert
  • es kam zu einer HBC-Übertragung (erfolgreich therapiert)
  • keine weiteren Infektionsübertragungen

2. Relevante Infektionen

2.1 Hepatitis B

Ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung des Infektionsrisikos ist der Immunstatus der Beschäftigten. Mehr als 90 % der Beschäftigten im Gesundheitswesen haben als personenbezogene Maßnahme der Primärprävention eine HBV-Schutzimpfung erhalten. Diese ermöglicht ihnen eine risikofreie Exposition mit HBV.

Für Low- und Non-Responder sowie Beschäftigte, die eine Impfung verweigern, liegt das Risiko einer chronischen Verlaufsform der Hepatitis B bei 10 %, da die akute Hepatitis B bei Erwachsenen in mehr als 90 % spontan ausheilt. Die chronische Verlaufsform ist mit einem 100-fach erhöhten Risiko eines Leberzellkarzinoms verbunden.

Bei Vorhandensein von Antikörpern (Anti-HBs) durch einen guten Impfstatus oder eine erfolgreich durchgemachte Infektion mit Hepatitis B ist keine PEP notwendig. Deshalb entscheidet die Überprüfung des Immunschutzes mit der Bestimmung des Anti-HBs-Titers nach einer Verletzung über das weitere Vorgehens.

Vorgehen

Abbildung 2 zeigt das Vorgehen bei unterschiedlichem Impfstatus der betroffenen Person. Grundlage für das weitere Vorgehen ist dabei die Konzentration an Antikörpern (Anti-HBs) im Blut, die neben einer Impfung auch durch eine durchgemachte Infektion beeinflusst wird.

Abbildung 2: Vorgehen nach einer Nadelstichverletzung bei Verdacht auf HBV-Infektion

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass keine Maßnahmen erforderlich sind, wenn die Indexperson infektionsfrei ist oder der Anti-HBs-Wert der verletzten Person über 100 IE/l liegt. Bei ungeimpften Betroffenen bzw. Non-Respondern und Personen mit einem Wert unter 10 IE/l werden Impfstoff und Immunglobuline verabreicht, in den anderen Fällen nur eine Schutzimpfung. Falls in diesen Fällen die Impfung nicht anspricht und 4–8 Wochen nach drei Impfungen weiterhin ein Wert von < 10 IE vorliegt, soll nach Ausschluss des Vorliegens einer Infektion nochmals geimpft werden.

Kontrolluntersuchungen

Wenn Maßnahmen ergriffen wurden, folgen serologische Kontrolluntersuchungen nach 3 und 6 Monaten, bei denen in der Regel nach den Leberwerten Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT)- und Glutamat-Pyruvat-Transaminase [GPT- oder ALT-Wert]) sowie dem anti-HBc-Wert geschaut wird.

Je nach Ergebnis können weitere Untersuchungen folgen (z. B. HBs-Ag und HBV-DNA), bei Bedarf wird zudem der Impfschutz vervollständigt.

 

2.2 Hepatitis C

Infektionswahrscheinlichkeit

Im Gegensatz zu Hepatitis B ist die Wahrscheinlichkeit, sich durch eine NSV mit Hepatitis C anzustecken, eher gering. Die Seroprävalenz der erwachsenen Allgemeinbevölkerung Deutschlands für Anti-HCV als Marker für eine vergangene oder chronische HCV-Infektion beträgt etwa 0,3 % bis 0,45 %. Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie der Viruslast bei der Indexperson, der Größe und Tiefe der Verletzung und der übertragenen Blutmenge. Durch Auswertung gemeldeter NSV, bei denen die Indexperson positiv war und die verletzte Person sich daraufhin infiziert hat, wurden Serokonversionen für HCV von 1,8–10 % bestimmt.

Blutuntersuchungen

Erster Schritt bei einer NSV nach den im Kapitel 1 beschriebenen Sofortmaßnahmen ist eine Untersuchung des Blutes der Indexperson und des oder der Betroffenen (Anti-HCV, ALT-Wert). In Abhängigkeit von der Anamnese wird der zuständige Arzt weitere Tests durchführen. Im Unterschied zu möglichen Infektionen mit HBV und HIV ist bei der Blutuntersuchung wie gesagt keine Eile geboten, die Untersuchungen können am nächsten Arbeitstag erfolgen.

Behandlung

Momentan existiert keine Impfmöglichkeit gegen das Virus. Auch steht keine Postexpositions-Prophylaxe zur Verfügung. Da eine akute HVC-Infektion keine erhöhte Sterblichkeit aufweist und die chronische Version gut zu behandeln ist, ergibt sich auch keine Notwendigkeit eines schnellen Handelns. Somit kann der Verlauf abgewartet werden. In 10 bis 50 Prozent der Fälle heilt die Krankheit von selbst aus. Besteht eine Infektion länger als 6 Monate, so spricht man von einer Chronifizierung.

Etwa 50–85 % der Infektionen gehen in chronische Formen über, wobei 2–35 % der Betroffenen nach 20–25 Jahren eine Leberzirrhose entwickeln. Die jährliche Rate HCV-induzierter Zirrhosen, die ein Leberzellkarzinom entwickeln, liegt bei 2–5 %.

Im Fall einer Chronifizierung wird mit einer Behandlung begonnen. Bis 2013 wurde die chronische Hepatitis C mit Interferonen therapiert, mittlerweile erzielt man mit interferonfreien Methoden Behandlungserfolge von über 95 Prozent. Im Falle von Anti-HCV positiven Indexpatienten sollte nach 2–4 und nach 6–8 Wochen eine HCV-RNA-Quantifizierung mittels Nukleinsäure-Amplifikationstechnologie (NAT) durchgeführt werden, da diese schneller und sicherer eine akute Infektion anzeigt als die reine Bestimmung von HCV-Antikörpern. Empfohlen wird anschließend eine erneute Bestimmung von Anti-HCV und ALT-Aktivität, bei pathologischen Werten gefolgt von einer erneuten HCV-RNA-Bestimmung.

2.3 HIV

Das Risiko einer Infektion mit HIV durch eine NSV ist statistisch gesehen relativ gering. Durch Auswertung gemeldeter NSV, bei denen die Indexperson positiv war und die verletzte Person sich daraufhin infiziert hat, wurden Serokonversionen für HIV von 0,3 % bestimmt. Angesichts der Schwere der potenziellen Erkrankung und dem sehr engen Zeitfenster nach der NSV ist es sehr wichtig, schnell und mit den richtigen Maßnahmen zu reagieren.

Eine PEP ist möglich, sollte aber am besten innerhalb der ersten zwei Stunden und spätestens 72 Stunden nach dem Ereignis durchgeführt werden. Die Erfolgsaussichten sinken mit zunehmender Zeit seit dem Ereignis.

 

Kriterien

Ist die Indexperson positiv, hängt die Entscheidung bzgl. einer PEP unter anderem abhängig von dessen Viruslast und der Art der Verletzung ab. Die zugehörige Indikation zeigt Abbildung 3.

 VL* bei Indexperson > 50 Kopien/ml oder unbekanntVL bei Indexperson < 50 Kopien/ml
Blutende Stichverletzung mit Injektionsnadel oder anderer Hohlraumnadel, Schnittverletzung mit kontaminiertem Skalpell, Messer o. ä.PEP empfehlenPEP anbieten
Oberflächliche Verletzung (z. B. mit chirurgischer Nadel) ohne BlutenPEP anbietenPEP nicht indiziert

* Viruslast

Abbildung 3: Indikation zur HIV-PEP (bei HIV-positiver Indexperson), Quelle: Dt.-öster. Leitlinie zur PEP der HIV-Infektion

Als weitere Kriterien sollten bei der Entscheidung über eine PEP abgewogen werden:

  • Die Art der Exposition: So sind Verletzungen an Hohlnadeln aufgrund der übertragenen Blutmenge gefährlicher als an chirurgischen Nadeln.
  • Dauer der Einwirkung: Je länger die Verweildauer auf geschädigter Haut, desto wahrscheinlicher ist eine Infektion.
  • Angehörigkeit der Indexperson zu einer Bevölkerungsgruppe, die in stärkerem Maße von HIV-Infektionen betroffen ist.
  • Klärung der Frage, ob eine infizierte Indexperson effektiv behandelt wird und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr infektiös ist.

Für den Fall, dass von der Indexperson keine Laborwerte vorliegen, eine Infektion aber nicht unwahrscheinlich ist, sollte ein erfahrener Arzt bzw. eine erfahrene Ärztin hinzugezogen werden. Ist das innerhalb der genannten Frist nicht möglich, so sollte die PEP nach Abwägung der verfügbaren Fakten vorläufig eingeleitet werden. Über die Fortführung kann dann nach späterem Hinzuziehen geeigneter Fachexpertise entschieden werden.

Art der Behandlung

Durchgeführt wird die medikamentöse PEP in Form einer Kombination von mindestens drei unterschiedlichen Medikamenten. Ist die Indexperson bekannt positiv und in Behandlung, sollten nach Möglichkeit die gleichen Medikamente verwendet werden.

Die Behandlung dauert in der Regel 28 Tage, sie sollte nach negativer Testung der Indexperson abgebrochen werden. Eine längere Dauer kann sinnvoll sein bei einer massiven Kontamination oder einem längeren Zeitraum als 36 bis 48 Stunden vor dem Prophylaxebeginn.

Zwei, zehn und 16 Wochen nach einer PEP werden weitere Kontrolluntersuchungen verschiedener Blutwerte empfohlen. Weitere Untersuchungen sind zudem angezeigt bei einem akuten Krankheitsbild innerhalb der ersten vier Wochen nach der PEP.

Nebenwirkungen

Die PEP verläuft in der Regel nicht ohne Nebenwirkungen, Besonders in den ersten zwei Wochen werden Übelkeit, Durchfall und Abgeschlagenheit beobachtet. Allerdings ist die Verträglichkeit heute deutlich besser als zu den Anfangszeiten. Auf mögliche Spätfolgen gibt es keine Hinweise.

Erfolgswahrscheinlichkeit

Generell zeigt eine rechtzeitig durchgeführte PEP eine sehr hohe Wirksamkeit. Bereits die früher übliche Form mit nur einem Medikament erzielte einen Schutz von etwa 80 Prozent.

Wie bei allen medizinischen Therapien gibt es aber auch im Falle der HIV-PEP keine Erfolgsgarantie. Die Wirksamkeit hängt neben der Schnelligkeit des Einleitens auch von der Auswahl und konsequenten Einnahme der Medikamente ab. Auch kann der infizierte Virusstamm gegen die eingesetzten Medikamente resistent sein. Durch die heute eingesetzte Dreifachkombination ist dieses Problem aber kaum noch von Bedeutung.

 

3. Kostenübernahme

Da es sich um beruflich indizierte Verletzungen handelt, übernimmt der zuständige Unfallversicherungsträger die Untersuchungs- und Behandlungskosten einer PEP. Deshalb und zur Absicherung gegenüber möglichen Spätfolgen muss eine NSV immer sorgfältig dokumentiert werden, inklusive Zeitpunkt, Art und Umfang der Exposition. In der Praxis hat sich hierbei aus Datenschutzgründen zusätzlich das Dokumentieren der zugehörigen Fallnummer bewährt. Unter Umständen kann eine Infektion auch als Berufskrankheit anerkannt werden.

Erforderlich für eine Kostenübernahme ist zudem ein D-Arzt-Verfahren. Dieses ist immer dann obligatorisch, wenn eine der folgenden vier Bedingungen erfüllt ist:

  • Die Verletzung führt über den Unfalltag hinaus zur Arbeitsunfähigkeit.
  • Die notwendige ärztliche Behandlung dauert voraussichtlich länger als eine Woche.
  • Es sind Heil- und Hilfsmittel zu verordnen.
  • Es handelt sich um eine Wiedererkrankung aufgrund von Unfallfolgen.

Quellen

Webcode: w1615