Gefährdungsbeurteilung
Stand: 11/2024

Nadelstichverletzungen | Gefährdungen
NV Gefährdungsbeurteilung

Unabhängig von den rechtlichen Forderungen zur Erstellung und Dokumentation von Gefährdungsbeurteilungen sind das systematische und sorgfältige Erfassen aller Gefährdungen und der Umgang damit im Fall von Nadelstichverletzungen von besonderer Wichtigkeit. Hierfür sprechen sowohl die hohe Häufigkeit derartiger Verletzungen als auch die möglichen Folgen einer Infektion mit gefährlichen Krankheitserregern. Besonders gefährlich sind vor allem das humane Immundefizienz-Virus (HIV) sowie das Hepatitisvirus B (HBV) und das Hepatitisvirus C (HCV). Dokumentiert wurden aber z. B. auch Übertragungen von Erregern wie Tuberkulose, Malaria oder Syphilis.

Bewährt hat sich beim Erstellen einer Gefährdungsbeurteilung das siebenstufige Vorgehen, das unter anderem in der Leitlinie „Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation“ der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) beschrieben ist.

Zu diesem Artikel gehört eine Mustergefährdungsbeurteilung im Word-Format, die Sie sich hier herunterladen und für Ihre spezifische Anwendung individualisieren können. Diese beinhaltet sowohl typische Gefährdungen als auch zugehörige bewährte Schutzmaßnahmen sowie Vorschläge für die Wirksamkeitskontrolle.

Die Mustergefährdungsbeurteilung muss auf jeden Fall an die tatsächlichen betrieblichen Gegebenheiten angepasst werden: Löschen Sie nicht zutreffende Gefährdungen oder Maßnahmen und ergänzen Sie bei Bedarf weitere, in der konkreten betrieblichen Situation auftretende Gefährdungen sowie die hieraus resultierenden Schutzmaßnahmen. Bei sachgerechter Anwendung erfüllen so erstellte Gefährdungsbeurteilungen alle Anforderungen der oben genannten Leitlinie und die Dokumentationsverpflichtung nach § 6 ArbSchG.

Bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung ist es wichtig, auf das Know-how interner und externer Fachleute sowie das der Beschäftigten im jeweiligen Arbeitsbereich zurückzugreifen. Zu den Fachleuten zählen z. B. Betriebsärztinnen und -ärzte, Sicherheitsfachkräfte, die Beschäftigtenvertretung sowie die Expertinnen und Experten aus den betroffenen Fachabteilungen. Bewährt hat sich die Einbeziehung der Beschäftigten durch eine moderierte Befragung im Rahmen von ohnehin stattfindenden Besprechungen (z. B. bei der Stationsübergabe) anhand einer einfachen Liste. Ein solches Vorgehen hat neben dem Nutzen im Rahmen des Arbeitsschutzes auch den Vorteil, dass die Einbeziehung der Beschäftigten dokumentiert werden kann.

Davon abgesehen fordert das Arbeitsschutzgesetz vom Arbeitgeber, bei der Ableitung von Arbeitsschutzmaßnahmen den Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie anderer arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse zu beachten. Auch deshalb ist es wichtig, die Gefährdungsbeurteilung fachlich auf eine breite Basis zu stellen.

Nähere Informationen hierzu sowie zu den zugehörigen Rechtsvorschriften: „Ablauf einer Gefährdungsbeurteilung

Die einzelnen Schritte der Gefährdungsbeurteilung

Schritt 1: Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten

Nadelstichverletzungen und der Umgang mit anderen spitzen oder scharfen Instrumenten sind Bestandteil vieler unterschiedlicher Tätigkeiten. Eine Einflussnahme auf die Gefahr einer Infektion als Folge einer Verletzung ist schwer bis gar nicht möglich. Bestenfalls ist das Vorliegen gefährlicher Krankheitserreger bei den behandelten Patientinnen und Patienten im Vorfeld bekannt. Oberstes Ziel der Prävention ist daher stets die Vermeidung einer Verletzung.

Die potenziellen Ursachen der Gefährdung und die Maßnahmen zur Verhinderung ähneln sich in vielen Fällen oder sind sogar identisch. So ist die Gefährdung beim Ablegen sowie dem Entsorgen der Nadeln und Instrumente bei allen Tätigkeiten praktisch identisch. Gleiches gilt für die dagegen zu ergreifenden Maßnahmen. Deshalb beinhaltet die beiliegende Mustergefährdungsbeurteilung Abschnitte, die für alle Arbeitsbereiche/Tätigkeiten gelten, bei denen mit spitzen und scharfen Instrumenten umgegangen wird und bei denen die Gefahr einer Infektion mit potenziell infektiösem Material besteht – unabhängig davon, ob sie von Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten oder ggf. anderen Berufsgruppen ausgeführt werden. Es handelt sich dabei insbesondere um:

  • das Setzen von Spritzen (Injektionen)
  • das Legen von Gefäßzugängen und Kathetern
  • die Entnahme von Blut und anderen Körperflüssigkeiten
  • die Blutzuckerbestimmung
  • chirurgische Eingriffe mit Skalpellen
  • den Umgang mit chirurgischen Drähten
  • die Instrumentenaufbereitung sowie
  • die Entsorgung gebrauchter Instrumente

Welche Tätigkeiten im jeweiligen Fall betrachtet werden, ist individuell festzulegen und im Kopf der Mustergefährdungsbeurteilung zu dokumentieren. Beziehen sich einzelne Punkte nur auf bestimmte Tätigkeiten, so ist das in der Tabelle besonders zu kennzeichnen.

Dabei beschränkt sich die Mustergefährdungsbeurteilung auf das Betrachten der speziellen Gefährdungen durch spitze und scharfe Instrumente. Andere Gefährdungen an Arbeitsplätzen, bei denen die genannten Tätigkeiten ausgeführt werden, müssen gesondert betrachtet werden.

Schritt 2: Ermitteln der Gefährdungen

Mögliche Faktoren, die eine Gefährdung durch Verletzungen mit spitzen und scharfen Instrumenten begünstigen, lassen sich grundsätzlich auf verschiedene Arten ermitteln, insbesondere durch:

  • die vorausschauende Betrachtung, bei der vorhandene Unterlagen wie etwa Arbeits- oder Betriebsanweisungen, Notfallpläne, Begehungsprotokolle, Berichte der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung sowie die Expertise der Beteiligten ausgewertet werden,
  • die rückblickende Betrachtung mit der Analyse von z. B. Unfallanzeigen und Verbandbüchern, aber auch von Beinaheunfällen,
  • die Beobachtung der konkreten Arbeitsabläufe sowie der eingesetzten Instrumente / Arbeitsmittel und deren Handhabung und
  • die Analyse der Arbeitsumgebung und der Ausführungsbedingungen der betrachteten Tätigkeiten

Im Idealfall fließen alle vorhandenen Informationen ein und werden mithilfe eines Gefährdungskatalogs strukturiert. So kann sichergestellt werden, dass keine wesentlichen Faktoren übersehen werden.

Abb. 1

Die beiliegende Mustergefährdungsbeurteilung basiert auf den elf Gefährdungsfaktoren aus der GDA-Leitlinie. Diese wurde um einen weiteren Faktor „Grundlegende organisatorische Faktoren“ ergänzt, weil organisatorische Maßnahmen bei der Vermeidung von Nadelstichverletzungen besonders relevant sind.

Betrachtet werden müssen aber vor allem die Faktoren, die Verletzungen durch spitze und scharfe Gegenstände begünstigen. In der Mustergefährdungsbeurteilung wurden dabei die Faktoren 0.1 bis 0.4, 8.2 „Beleuchtung, Licht“, 8.5 „Unzureichende Bewegungsfläche am Arbeitsplatz, ungünstige Anordnung des Arbeitsplatzes“ und 10.2 „Ungenügend gestaltete Arbeitsorganisation“ identifiziert.

Im individuellen Einzelfall können aber auch andere bzw. weitere Faktoren zutreffend sein. Diese gilt es zu identifizieren. Dazu müssen die zugrunde liegenden Tätigkeiten genau betrachtet werden – unter Hinzuziehung von Fachleuten wie der Betriebsärztin bzw. dem Betriebsarzt, der Fachkraft für Arbeitssicherheit, ggf. der Hygienefachkräfte und -beauftragten sowie auch der Beschäftigten selbst, die ihren Arbeitsplatz und die bestehenden Gefährdungen und Belastungen in der Regel sehr gut kennen.

Schritt 3: Risikobeurteilung der Gefährdungen

2.3.1      Handlungsbedarf aufgrund rechtlicher Vorgaben

Ziel der Risikobeurteilung ist die Klärung, ob (weitere) Schutzmaßnahmen erforderlich sind und mit welcher Priorität diese umgesetzt werden müssen. Viele Punkte im Arbeitsschutz sind rechtlich eindeutig geregelt (Mindest-Bewegungsflächen, Mindest-Beleuchtungsstärken, der verbindliche Einsatz von Sicherheitsgeräten etc.). Abweichungen von diesen Regelungen führen zwingend zu einem Handlungsbedarf, um rechtskonform zu handeln. In diesen Fällen dürfte daher die nachfolgend dargestellte analytische Risikobeurteilung nicht erforderlich sein. Wenn gegen Rechtsvorschriften verstoßen wird, besteht zwingender Handlungsbedarf.

2.3.2      Handlungsbedarf aufgrund einer analytischen Risikobeurteilung

Die analytische Risikobeurteilung erfolgt üblicherweise mithilfe eines Systems, das die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefährdung der möglichen Schadensschwere gegenüberstellt. Oft wird dafür eine Risikomatrix nach Nohl eingesetzt. Wie in Abbildung 2 zu sehen, wird jedem Feld in der Matrix eine Risikoklasse zugeordnet. Nach dieser Klassifizierung wird z. B. für die Kombinationen hohe Eintrittswahrscheinlichkeit/keine gesundheitlichen Folgen genauso ein geringes Risiko angenommen wie für die Kombination geringe Eintrittswahrscheinlichkeit/mäßig schwere Folgen.

Die ermittelten Risikoklassen führen zu folgenden Konsequenzen:

  • Klasse 1: geringes Risiko (Es müssen keine Maßnahmen ergriffen werden.)
  • Klasse 2: mittleres Risiko (Es sollten zeitnah Maßnahmen ergriffen werden.)
  • Klasse 3: hohes Risiko (Es müssen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden.)

Abb. 2

Beim Umgang mit spitzen oder scharfen Werkzeugen können alle in der Mustergefährdungsbeurteilung genannten Risikofaktoren zu einer Verletzung mit einer möglichen Infektion mit einem Krankheitserreger führen.

Die Seroprävalenzen der erwachsenen Allgemeinbevölkerung Deutschlands werden im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts (www.rki.de/degs) veröffentlicht. Folgende Schätzwerte können daher angenommen werden:

  • Die HBsAg-Prävalenz als Indikator für eine aktuelle (akute oder chronische) HBV-Infektion lag bei 0,3 % (korrigiert 0,45 %).
  • Die Prävalenz für Anti-HCV als Marker für eine vergangene oder chronische HCV-Infektion betrug 0,3 % (korrigiert 0,45 %).
  • Die geschätzte Prävalenz für eine HIV-Infektion betrug 0,09 %.

Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie der Viruslast bei der Indexperson, der Größe und Tiefe der Verletzung und der übertragenen Blutmenge. Durch Auswertung gemeldeter Nadelstichverletzungen (NSV), bei denen die Indexperson positiv war und die verletzte Person sich daraufhin infiziert hat, wurden Serokonversionen für HIV von 0,3 %, für HCV von 1,8–10 % und für HBV von 23–37 % ermittelt (vereinfacht: HIV 0,3 %, HCV 3 %, HBV 30 %). Ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung des Infektionsrisikos ist der Immunstatus der Beschäftigten. Mehr als 90 % der Beschäftigten im Gesundheitswesen haben als personenbezogene Maßnahme der Primärprävention eine HBV-Schutzimpfung erhalten. Diese ermöglicht ihnen eine vergleichsweise risikofreie Exposition gegenüber HBV.

Das Risiko für einen chronischen Verlauf einer erfolgten Hepatitis-B-Infektion (bei nicht ausreichend immunisierten Personen) liegt bei ca. 10 %, da die akute Hepatitis B bei Erwachsenen in mehr als 90 % spontan ausheilt. Die chronische Verlaufsform ist mit einem 100-fach erhöhten Risiko eines Leberzellkarzinoms verbunden [3697].

Die Hepatitis C wird als problematischere Erkrankung gesehen, da sie nicht impfpräventabel ist. Bei einer Hepatitis-C-Infektion besteht das Risiko einer Chronifizierung in Form einer Zirrhose, aus der sich wiederum ein Leberzellkarzinom entwickeln kann. Für HCV steht keine PEP zur Verfügung, jedoch liegt der Heilerfolg bei einer antiviralen Interferon-Therapie inzwischen über 90 %.

Für HIV steht weder eine Impfung noch eine Heilbehandlung zur Verfügung. Allerdings kann der Ausbruch der tödlich verlaufenden AIDS-Erkrankung durch eine antiretrovirale Therapie um viele Jahre hinausgezögert werden. Nach einer NSV besteht die Möglichkeit einer PEP, wobei ältere Modellrechnungen eine Risikoreduktion der HIV-Transmission um 81 % belegen.

Auch wenn die therapeutische Abwendung einer Erkrankung zu einem hohen Maße möglich ist, widerspricht dies dem Ansatz der Primärprävention. Daher muss das vorrangige Ziel die Verhütung einer Virusübertragung sein, insbesondere da die therapeutischen Maßnahmen von erheblichen Nebenwirkungen begleitet sein können.

Anders ist es im Falle der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Stichverletzung an sich. Um im Beispiel zu bleiben: Eine schlechte Beleuchtung, Arbeiten unter Stress, ein durch zu große Enge bedingter Rempler, z. B. durch eine Kollegin oder einen Kollegen, oder eine unerwartete Reaktion der Patientin oder des Patienten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Nadelstichverletzung kommt.

Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion hängt von der Art des Erregers, der Viruslast des Indexpatienten, der übertragenen Blutmenge sowie dem Immunstatus der betroffenen Beschäftigten ab. Diese Faktoren sind bei der Ermittlung des Risikos im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nur schwer bis gar nicht zu beurteilen. Aufgrund der immerhin möglichen Infektion mit gefährlichen Krankheitserregern und einem möglichen schweren Verlauf ist die mögliche Schadensschwere grundsätzlich als hoch einzustufen.

Das heißt für die Gefährdungsbeurteilung: Bei der Risikobeurteilung geht es unter Berücksichtigung der bekannten Risikofaktoren in erster Linie um die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung.

Schritt 4: Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen

Nach dem Beurteilen der Risiken sollten für alle Gefährdungen Schutzziele festgelegt werden. Ziele müssen konkret, erreichbar und überprüfbar sein. Dabei können sie beispielsweise das gewünschte Schutzniveau, aber auch gewünschte sicherheitsgerechte Arbeitsweisen beschreiben. Die formulierten Ziele sind von besonderer Bedeutung, wenn am Ende der Gefährdungsbeurteilung die Schutzmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Mit dem nachweislichen Erreichen der Ziele ist die Wirksamkeit der Maßnahmen nachgewiesen.

Werden mehrere Schutzmaßnahmen als geeignet angesehen, die Schutzziele zu erreichen, muss die Auswahl der zu realisierenden Maßnahmen nach dem sogenannten STOP-Prinzip erfolgen, das eine qualitative Rangfolge für die Schutzmaßnahmen vorgibt:

  • Oberste Priorität haben demnach Maßnahmen, bei denen die Gefahrenquelle durch Substitution (S) beseitigt wird. So gibt es für bestimmte Anwendungen nadelfreie Systeme oder stumpfe Kanülen, die den Einsatz spitzer und scharfer Instrumente überflüssig machen. Eine solche Substitution wäre aus Sicht des Arbeitsschutzes die bestmögliche Schutzmaßnahme.
  • Ist eine Substitution nicht möglich, sind technische Lösungen (T) die Maßnahme der Wahl. So kann z. B. der Einsatz von Sicherheitsgeräten zuverlässig Nadelstichverletzungen bei der Blutabnahme verhindern.
  • Fehlt es auch an sinnvoll realisierbaren technischen Schutzmaßnahmen, müssen organisatorische Schutzmaßnahmen (O) geprüft werden. So kann z. B. durch Jobrotation oder eine entsprechende Pausenregelung die Konzentration beim Umgang mit Nadeln hochgehalten werden.
  • Nur wenn durch Substitution sowie technische und organisatorische Schutzmaßnahmen kein ausreichendes Schutzniveau erreicht werden kann oder wenn kurzfristig keine anderen Lösungen möglich sind, müssen zusätzlich persönliche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Dazu zählen z. B. Persönliche Schutzausrüstungen – wie etwa doppelwandige Schutzhandschuhe.

Technische, organisatorische und personen- oder verhaltensbezogene Maßnahmen sollten sich gegenseitig ergänzen, um das Risiko so weit zu reduzieren, dass entsprechend dem Schutzziel ein akzeptables Restrisiko erreicht wird. Hierzu müssen die Einzelmaßnahmen sinnvoll aufeinander abgestimmt sein.

Abb. 3

Die Schutzmaßnahmen sollten möglichst konkret formuliert werden und als aktives Tun (z. B. „Geeignete Sicherheitsgeräte auswählen und beschaffen“) beschrieben sein. Schlagworte oder abstrakte Begriffe (z. B. „Kein Recapping“, „Sicherheitsgeräte“) führen erfahrungsgemäß nicht dazu, dass Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Zudem sollten die festgelegten Maßnahmen realistisch umsetzbar sein, um ernst genommen und akzeptiert zu werden. Die Verantwortung für die Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen liegt bei der zuständigen Führungskraft.

Schritt 5: Durchführen/Realisieren der Maßnahmen

Schritt 5 ist der Punkt, an dem aus Planung Praxis wird. Dieser Planungsschritt beinhaltet das Zuweisen eines oder einer Verantwortlichen und eines Termins für die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen. Wichtig ist dabei, den Termin nicht zu eng zu setzen: Zum einen erfordert die Umsetzung mancher Maßnahmen eine gewisse Zeit – zum Beispiel müssen Unterweisungen vorbereitet, terminiert und durchgeführt oder bauliche Veränderungen geplant, Handwerker ausgewählt und die Arbeiten ausgeführt werden.

Zum anderen werden diese Aufgaben bei den zuständigen Führungskräften oft als zusätzliche Aufgabe zum Tagesgeschäft verstanden, obschon Arbeits- und Gesundheitsschutz erfahrungsgemäß ohne großen Zusatzaufwand in alle betrieblichen Abläufe integriert werden kann – und muss. Nicht zuletzt deshalb ist es aber wichtig, die fristgerechte Umsetzung der Maßnahmen systematisch zu überwachen. Dafür wurde in der Mustergefährdungsbeurteilung eine eigene Spalte eingefügt. An dieser Stelle kann die termingerechte Umsetzung der festgelegten Maßnahmen dokumentiert werden.

Schritt 6: Wirksamkeit überprüfen

Auch umgesetzte Maßnahmen führen nicht immer zu einer ausreichenden Risikominderung. Schutzeinrichtungen können umgangen, Sicherheitsgeräte und Schutzhandschuhe nicht benutzt werden oder die angedachten Maßnahmen sind schlicht nicht ausreichend, um die Schutzziele zu erreichen. Daher muss die Wirksamkeit jeder Maßnahme überprüft und dokumentiert werden. Es sollte im Vorfeld unbedingt festgelegt werden, anhand welcher Kriterien die Wirksamkeit der Maßnahmen zuverlässig überprüft werden kann. Auch Zeitpunkt und Häufigkeit der Wirksamkeitskontrolle müssen im Vorfeld beschrieben sein.

Bei manchen Maßnahmen (typischerweise bei Substitutionsmaßnahmen), wie der Verlegung eines Platzes zur Blutentnahme oder bei baulichen Veränderungen, reicht dabei unter Umständen eine einmalige Prüfung direkt nach Umsetzung aus.

Bei anderen Maßnahmen, insbesondere bei organisatorischen oder persönlichen Maßnahmen wie z. B. bei der Verpflichtung zum Tragen doppelter Schutzhandschuhe bei bestimmten Tätigkeiten, sind regelmäßige Prüfungen in festgelegten Intervallen notwendig.

Da ohnehin nicht lückenlos geprüft werden kann, wäre eine stichprobenartige Prüfung (z. B. im Rahmen von Begehungen, Arbeitsproben, Pflegevisiten) ein sinnvoller Ansatz. Hierbei wird dann jeweils kontrolliert, ob das zuvor festgelegte Schutzziel erreicht wird.

In Verbindung mit „Nadelstichverletzungen“ steht bei der Wirksamkeitskontrolle an oberster Stelle die Frage, ob es nach Einführung von Maßnahmen zu einer geringeren Anzahl von Verletzungen kam. Dies wird man zwar nicht einer einzelnen Maßnahme zuordnen können, aber zumindest einen Eindruck gewinnen können, ob die gewählte Vorgehensweise grundsätzlich erfolgversprechend ist. Da eine anonymisierte Dokumentation und Auswertung von Nadelstichverletzungen nach der TRBA 250 vorgeschrieben ist, können Sie die notwendigen Daten aus dieser Dokumentation nutzen. Ein Beispiel für einen solchen Erfassungs- und Analysebogen finden Sie im Anhang 2 der BGW-Broschüre „Risiko Nadelstich“. Nutzen Sie auch den online-Fragebogen „Unfälle mit Blutkontakt“.

Eine Beschränkung ausschließlich auf das eher grobe Kriterium der Unfallzahlen würde zu kurz greifen. Deshalb sollten die Beschäftigten in die Wirksamkeitskontrolle einbezogen werden, zum Beispiel durch Nachfragen und Erfahrungsberichte. Gleichzeitig sollte die Erinnerung an die Umsetzung der Maßnahmen auch in Personal- und Teambesprechungen immer wieder thematisiert werden. Ohnehin empfiehlt es sich, die Arbeitsschutzunterweisungen in bestehende Abläufe und Strukturen einzubinden.

Im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung sollte zusätzlich untersucht werden, ob durch das Umsetzen der Maßnahmen möglicherweise neue Gefährdungen entstanden sind.

Wird im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung festgestellt, dass Maßnahmen nicht zur Erreichung der Schutzziele bzw. einer ausreichenden Risikominderung geführt haben, müssen die Ursachen hierfür ermittelt werden. Möglicherweise liegt es an eingefahrenen Verhaltensweisen, oder die festgelegten Maßnahmen waren nicht ausreichend oder nicht praxisgerecht. Häufig scheitert die Umsetzung und damit die Wirksamkeit von Maßnahmen an mangelnder Information, Motivation oder Qualifizierung. Diesen Defiziten kann im Rahmen der Arbeitsschutzunterweisung entgegengewirkt werden.

Stehen die Ursachen fest, beginnt der Handlungszyklus von Neuem bei Schritt 4, d. h., es müssen weitere Schutzmaßnahmen festgelegt und realisiert werden.

Schritt 7: Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung

Eine Gefährdungsbeurteilung ist nie „fertig“. Der Stand der Technik oder Arbeitsbedingungen können sich ändern, oder man stellt beispielsweise fest, dass es nach wie vor noch zu vielen Nadelstichverletzungen kommt.

Besonders wichtig ist eine Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung bei:

  • einer signifikanten Erhöhung der Anzahl der Nadelstichverletzungen,
  • der Anschaffung neuer Arbeitsmittel,
  • der Änderung von Arbeitsplätzen, Tätigkeiten und Arbeitsabläufen,
  • dem Auftreten von infektionsbedingten Berufskrankheiten (auch Verdachtsfälle),
  • neuen oder geänderten Rechtsvorschriften.

Bei allen Änderungen am Arbeitssystem sollten Führungskräfte mögliche Auswirkungen auf Gefährdungen und Belastungen schon in der Planungsphase berücksichtigen und ggf. weitere Fachleute (Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner und Arbeitsmedizinerinnen etc.) mit einbeziehen.

Ereignisunabhängig ist es notwendig, die Aktualität der Gefährdungsbeurteilung regelmäßig (gemäß § 4 BioStoffV mindestens jedes zweite Jahr) unter Hinzuziehung aller Beteiligten zu überprüfen.

Diese und weitere betriebsspezifische Regelungen zum Thema Gefährdungsbeurteilung sollten in einer Art betriebsspezifischen „Verfahrensanweisung Gefährdungsbeurteilung“ dokumentiert werden, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten sich ihrer Verpflichtungen bewusst sind.

Betrachtung besonderer Personengruppen

Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung kann es notwendig sein, neben tätigkeitsbezogenen Gefährdungsbeurteilungen auch personenbezogene Beurteilungen durchzuführen und zu dokumentieren, insbesondere, wenn für bestimmte Beschäftigte zusätzliche Gefährdungen bestehen. Besonders schutzbedürftige Personengruppen sind typischerweise: Jugendliche, werdende oder stillende Mütter sowie Menschen mit Behinderungen.

Auch Beschäftigte ohne ausreichende Deutschkenntnisse, Zeitarbeitnehmende, Beschäftigte mit häufig wechselnden Tätigkeiten, Praktikantinnen und Praktikanten, Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger sowie Menschen mit Allergien oder chronischen Erkrankungen können personenbezogene Gefährdungsbeurteilungen notwendig machen. Dabei ist zu ermitteln und zu dokumentieren, welchen speziellen Gefährdungen die jeweilige Person ausgesetzt ist und welche (zusätzlichen) Schutzmaßnahmen gegebenenfalls zu ergreifen sind.

Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung für den Umgang mit spitzen und scharfen Instrumenten sind aufgrund der Infektionsgefahren und der Vorgaben des MuSchG insbesondere für werdende und stillende Mütter zusätzliche Schutzmaßnahmen zu prüfen.

Die beiliegende Mustergefährdungsbeurteilung für den Umgang mit spitzen und scharfen Instrumenten fokussiert daher bei den besonders schutzbedürftigen Personengruppen auf Gefährdungen für werdende oder stillende Mütter.

Vorgehen nach einer Nadelstichverletzung

Zur Nachsorge von Stich- und Schnittverletzungen mit infektiösem Material wird auf die jeweils aktuellen Empfehlungen der gesetzlichen Unfallversicherung verwiesen.

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