In Anbetracht der Bilder aus Italien, Spanien und Frankreich rückt hierbei ein Thema in den Fokus: der Massenanfall kritisch kranker Patientinnen und Patienten – „Mass Critical Care“. In einer solchen Schadenslage sollte der Erhalt der individualmedizinischen Versorgung oder zumindest die Aufrechterhaltung einer kompensierten Krisenversorgung unter weitestgehender Berücksichtigung aktueller und anerkannter medizinischer Standards oberstes Ziel sein. Eine dekompensierte Krisenversorgung nach katastrophenmedizinischen Gesichtspunkten sollte unter allen Umständen vermieden bzw. so lange wie möglich durch geeignete Maßnahmen (Handbuch Krankenhausalarm und Einsatzplanung – KAEP) herausgezögert werden.
Für die Verteilung der Ressourcen und die Planung der Versorgung sind die Komponenten Personal, Material und Räumlichkeiten die entscheidenden interagierenden Variablen. Von ihrer Verfügbarkeit und Ausgestaltung hängt es ab, welches Versorgungsniveau das betroffene Krankenhaus leisten kann. Nicht selten kommt es zu einem relevanten Ressourcenmangel bzw. Kapazitätsengpässen. Paradebeispiel ist die Knappheit der intensivmedizinischen Betten, wie gerade aktuell in der COVID-Pandemie demonstriert, sodass Algorithmen bzw. Handlungsleitplanken in Form von Leitlinien oder Checklisten (Hospital preparedness checklist for pandemic influenza) nicht nur wünschenswert sind, sondern von Experten bzw. Expertinnen verschiedener Fachdisziplinen erarbeitet werden sollten. Gerade in der Katastrophenmedizin fällt oftmals der Begriff der Triagierung (Triage, französisch trier, sortieren, aussuchen), der jedoch im Falle des Massenanfalls von Infizierten (MANI) aus ethisch-moralischer Sicht nicht benutzt werden sollte. Hier scheint die „individuelle Priorisierung“ der richtige Begriff. Im Rahmen des MANI steht die Ressource intensivmedizinische Behandlung an oberster Stelle. Damit verbunden ist nicht nur das Vorhandensein eines Intensivbetts, einer Beatmungsmaschine, von Infusionspumpen, von Medikamenten, sondern auch die Verfügbarkeit von entsprechendem Fachpersonal.
Gerade in Pandemiezeiten muss davon ausgegangen werden, dass sich neben der Überlastung das Personal selbst infiziert bzw. erkrankt und damit nicht zur Verfügung steht. Die Mitarbeiterfürsorge im Gesundheitswesen sollte daher gerade in Pandemiezeiten sehr ernst genommen werden. Die Durchführung einer intensivmedizinischen Behandlung von COVID-Patientinnen und -Patienten folgt den wesentlichen ethischen Prinzipien wie Fürsorge, Selbstbestimmung, Nichtschaden und Gerechtigkeit. Die Entscheidung zur Behandlung basiert auf den Säulen der medizinischen Indikation und des Patientenwillens. Beide Säulen müssen erfüllt sein. Die Handlungsempfehlungen zur Therapie von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 sollten auch die palliativmedizinische Perspektive einbeziehen und diese bei einer Entscheidung gegen eine Intensivtherapie oder nach einer Therapiezieländerung beachten.
Sollten in Deutschland, trotz optimaler Nutzung der erhöhten Intensivkapazitäten, die intensivmedizinischen Ressourcen nicht mehr für alle Patientinnen und Patienten ausreichen, wurden für diesen Fall nationale Empfehlungen zur Verteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie erarbeitet. Wichtig an dieser Stelle ist, sowohl COVID-Patientinnen und -Patienten als auch Nicht-COVID-Patientinnen und ‑Patienten sollten stets gleichwertig betrachtet werden.
Individualmedizinische Versorgung
Der Einsatz von Personal und medizinischer Ausrüstung sowie die Raumnutzung entsprechen den alltäglichen Routineabläufen. Alle drei Komponenten sind in einem ausreichenden Maß verfügbar, um im Rahmen einer besonderen Schadenslage eine individualmedizinische Patientinnen- und Patientenbehandlung sicherzustellen. Es werden dabei die etablierten Standards und Empfehlungen der Patientinnen- und Patientenversorgung beachtet.
Kompensierte Krisenversorgung
Personal, Ausrüstung und Raumkapazität sind zur Bewältigung einer Schadenslage zunächst nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Der Einsatz von Personal und Ausrüstung sowie die Raumnutzung entsprechen nicht mehr den alltäglichen Routineabläufen. Die Sicherstellung einer kompensierten Krisenversorgung mit möglichst individualmedizinischer Patientinnen- und Patientenbehandlung ist nur durch erweiterte Maßnahmen (Etablierung einer Führungsstruktur, ggf. Aktivierung des KAEP, Sichtung, Priorisierung der medizinischen Maßnahmen, spezielle Raumordnung etc.) möglich. Hierbei wird auch eine priorisierte zeitliche Reihung nicht unmittelbar lebensrettender Maßnahmen bzw. dringlich erforderlicher individualmedizinischer Maßnahmen notwendig. Außerdem wird, wie momentan regional bereits umgesetzt (Stand 20.11.2020), oft eine Einschränkung der elektiv geplanten medizinischen Maßnahmen erforderlich sein. Hochelektive (z. B. kosmetische Operationen) oder elektive (z. B. Gelenkersatz bei Arthrose) Operationen, welche eine postoperative intensivmedizinische Betreuung erfordern, werden abgesetzt. Operationen mit erhöhter Dringlichkeit bzw. Notfalloperationen finden jedoch weiter statt. Diese Abwägung setzt eine sehr gute Kommunikation mit den Fachdisziplinen und dem Krisen- bzw. Koordinationsstab der jeweiligen Klinik voraus.
Dekompensierte Krisenversorgung
Personal, Ausrüstung und Raumkapazität sind zur Bewältigung einer Schadenslage nicht ausreichend, um eine den anerkannten Standards der Individualversorgung entsprechende Patientinnen- und Patientenversorgung aufrechtzuerhalten. Auch durch erweiterte Maßnahmen innerhalb des betroffenen Krankenhauses sowie die Verlegung von Patientinnen und Patienten in andere, weniger belastete Strukturen und Regionen kann die Lage nicht verbessert werden. Das Ausmaß der Versorgung des Patienten bzw. der Patientin wird eingeschränkt, um möglichst vielen Menschen das Überleben zu ermöglichen. Die Behandlung findet nicht mehr unter individualmedizinischen Gesichtspunkten statt, sondern das Überleben möglichst vieler steht nun im Vordergrund.
Führung Krankenhauseinsatzleitung (KEL) und operative Einsatzleitung
Die Führung eines Krankenhauses sollte sich als klassischer Krisenstab oder Koordinationsstab nach Dienstvorschrift DV 100 „Führung und Leitung im Einsatz“, S. 1-6 konstituieren. Die Stabsfunktion sollte im Rahmen der COVID-Pandemie multidimensional gesehen werden. Der Koordinationsstab eines Krankenhauses sollte idealerweise folgende Personen/Funktionen beinhalten: Fachexperten bzw. Fachexpertinnen mit infektionsepidemiologischem Hintergrund, die Hygiene, das Qualitätsmanagement, die Apotheker bzw. Apothekerinnen, das Case-Management, leitende Ärzte bzw. Ärztinnen aus dem Bereich der Notfall- und Intensivmedizin, Arbeitsmediziner bzw. Arbeitsmedizinerinnen des Krankenhauses, die Betriebsleitung, die Unternehmenskommunikation (Presse) sowie der Einkauf (Versorgungsstatus).
Bei einer weltweiten Materialknappheit (z. B. persönliche Schutzausrüstung oder Testkits) sind die Bereiche Logistik/Einkauf von hoher Relevanz. Der Krisenstab zusammen mit dem Leiter/der Leiterin des Krisenstabes bildet die Krankenhauseinsatzleitung. Die KEL sollte regelmäßig – abhängig von der infektionsepidemiologischen Dynamik – ein- bis zweimal wöchentlich tagen und bei Bedarf ad hoc einberufen werden. Die Kommunikationswege zur Einberufung der KEL müssen festgelegt und bekannt gemacht werden. Nicht nur die Einberufung der KEL, sondern auch die kontinuierliche Informationsmitteilung – insbesondere die Mitteilung des täglichen Lageberichtes – setzt eine digitale Kommunikation (z. B. E-Mail oder messengerbasiert) voraus. Neben der Stabsstruktur muss eine operative Einsatzleitung etabliert werden. Diese ist im operativen Bereich des Einsatzes verantwortlich und über die Funktion S3 mit dem Krisenstab verbunden.
Im Unterschied zu einer Ad-hoc-Lage, z. B. Massenanfall von Verletzten, ist die Aufstellung der Führung im Rahmen einer Pandemie umgekehrt. Hier etabliert sich zuerst die KEL mit Krisenstab und erst mit dem Einsetzen der Patientinnen- und Patientenversorgung ist die Einrichtung der operativen Einsatzleitung notwendig. Abhängig von der Größe eines Krankenhauses bzw. der zu versorgenden Region, ist die operative Einsatzleitung in die Stabsstruktur ggf. integriert. Eine klare Kommunikationsstruktur muss im Rahmen des MANI etabliert werden. Auf eine Region bezogen könnte diese folgt aussehen: Festlegung eines Teamleaders bzw. einer Teamleaderin Präklinik (z. B. Feuerwehr) und Krankenhaus (z. B. Leiterin oder Leiter der Intensivstation oder der Notaufnahme).
Die beiden Teamleaderinnen bzw. Teamleader melden zweimal täglich der operativen Einsatzleitung die Kapazitäten (Material, Schutzausrüstung etc.) und den Zustand der Patientinnen und Patienten. Die operative Einsatzleitung wiederum berichtet an den regionalen Krisenstab und den Pressesprecher bzw. die Pressesprecherin. Zudem wird die operative Einsatzleitung täglich vom Betriebsarzt bzw. von der Betriebsärztin über den Krankenstand bzw. Personalstand informiert. Der Leiter bzw. die Leiterin des regionalen Krisenstabs berichtet wiederum täglich den Istzustand (elektronische Statuserhebung) an den überregionalen Krisenstab.
Kommunikation der KEL-Entscheidungen
Die Dichte der Entscheidungen und die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf das Krankenhaus sind extrem hoch. Eine gute Kommunikationsstruktur in die einzelnen Bereiche und an die Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen insgesamt ist von großer Bedeutung. Allgemeininformationen können in Form einer speziellen Intranet Seite, eines täglichen oder wöchentlichen Newsletters oder als E-Mails verbreitet werden. Spezielle bzw. relevante Informationen, die einzelne Funktionsbereiche oder Abteilungen betreffen, müssen spezifisch an die Teamleitung des Bereiches kommuniziert werden. Die Teamleitung wiederum kommuniziert dies 1:1 im Rahmen von Übergaben oder Teamsitzungen an das Personal. Die Entscheidung der KEL ist für alle Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen des Hauses inkl. Führungskräfte bindend.
Funktionalität des Krankenhauses und Erweiterung der Behandlungskapazität
Wesentliche Voraussetzung für den Erhalt bzw. die Erhöhung der Behandlungskapazität ist die sichergestellte Funktionalität. Hier gibt es im Rahmen der Pandemie mehrere Aspekte, die bedacht werden müssen. Am Beispiel der SARS-CoV-2-Pandemie lässt sich die Abhängigkeit der Komponenten Personal, Raum und Material in Bezug auf die Funktionalität sehr deutlich demonstrieren. Außerdem spielt die Verfügbarkeit eines verlässlichen Lagebildes eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung und Steuerung eines Krankenhauses im Hinblick auf die Gesamtkapazität. Die Funktionalität wird unmittelbar durch die angespannte Materiallage eingeschränkt. Entscheidend ist die knappe und kritische Mangellage an persönlicher Schutzausrüstung (PSA) oder an Beatmungsgeräten und vielem mehr. Fehlende Mund-Nasen-Schutze (MNS) und ein Mangel an Desinfektionsmitteln sind beispielsweise ein kritischer Auslöser, um zum Erhalt der Funktionalität das Elektivprogramm drastisch zu reduzieren. Ein völliges Fehlen von Schutzausrüstung ist ein Ereignis, das unter allen Umständen vermieden werden muss. Da Krankenhäuser in der Regel mit einer Lagerhaltung für einen Bedarf unter 14 Tagen arbeiten, ist dies bei einem Ausbleiben von Lieferungen nach spätestens dieser Zeitspanne erreicht.
Die Ausweitung der Behandlungskapazität muss vorgeplant werden. Im Fokus steht vor allem die Erhöhung der Anzahl der Intensivbehandlungsplätze mit Beatmungsmöglichkeit. Hier empfiehlt es sich, einen Stufenplan mit klar definierten Eskalationsstufen in Abhängigkeit von der Anzahl der aufgenommenen und der zu erwartenden Patientinnen und Patienten (intensivpflichtig und nicht intensivpflichtig) sowie der Verfügbarkeit des Personals zu erarbeiten. Dieser Stufenplan muss allen Beteiligten bekannt sein, damit der in der Regel sehr schnell erforderliche Übergang auf die nächsthöhere Stufe effizient umgesetzt werden kann.
Ein direkt wirksames Mittel zur kurzfristigen Erhöhung der Behandlungskapazität für infektiöse Patientinnen und Patienten ist die Reduktion (hoch-)elektiver medizinischer Interventionen und Operationen. Diese Maßnahme führt rasch zu einem Freiwerden von Intensivkapazitäten und Normalstationsbetten. Ebenso wird Personal freigesetzt und Material eingespart.
Kritische Entscheidung
Die Frage, welche Behandlungen man in einer Pandemielage aufschiebt, ist schwierig zu beantworten. Ein Werkzeug zur sinnvollen Steuerung des elektiven Programms ist die Kategorisierung der Patientinnen und Patienten nach Behandlungsdringlichkeit und nach individuellem Risikoprofil bezüglich einer notwendigen postinterventionellen/-operativen Überwachung. In der täglichen Lageanalyse kann durch die KEL unter Berücksichtigung der personellen, materiellen und räumlichen Lage entschieden werden, welche Kategorien zur Behandlung freigegeben werden. Idealerweise sollte jedes Krankenhaus einen klar strukturierten und definierten Kategorisierungsalgorithmus, welcher mit allen Fachdisziplinen abgestimmt ist, z. B. in Form eines Ampelsystems, erstellen. Durch diese Ad-hoc-Maßnahme können sowohl personelle als auch räumliche Ressourcen für die Behandlung von COVID-19-Patientinnen und -Patienten geschaffen werden.
Erhöhen der Intensivbettenkapazität
Um das oben genannte Ziel zu erreichen, möglichst lange das Level der kompensierten Krisenversorgung zu erhalten, müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Hierzu reicht es nicht aus, Intensivbetten und/oder Beatmungsgeräte zu kaufen. Es müssen zusätzlich zu den materiellen Ressourcen auch Personal und Räumlichkeiten bedacht werden. Idealerweise sollten die Intensivkapazitäten zentral gesteuert werden, um eine regionale intensivmedizinische Überlastung zu verhindern bzw. personelle Entlastung zu erreichen.
Material
Zu jedem zusätzlich eingerichteten Intensivbeatmungsplatz werden neben dem Beatmungsgerät z. B. Spritzenpumpen, Monitoring und entsprechendes Verbrauchsmaterial benötigt. Ebenso sind Dialysegeräte und Konsolen zur ECMO-Therapie zusätzlich notwendig.
Personal
Schon zu normalen Zeiten ist die Verfügbarkeit von Pflegepersonal auf Intensivstationen äußerst begrenzt. Die kurzfristige Mobilisation von qualifizierten Kräften, die für eine Verdoppelung der Intensivkapazität erforderlich wären, erscheint nahezu aussichtslos. Mögliche Maßnahmen zur Personalrekrutierung:
- Einsatz von Pflegekräften in der Intensivmedizin aus anderen Bereichen
- Kooperation mit anderen Versorgungseinrichtungen
- Rekrutierung und Einarbeitung von Studierenden
- Änderung der Schichtmodelle mit Sondergenehmigung des BR
Durch die Reduktion der elektiven Patienten- bzw. Patientinnenversorgung wird vor allem aus dem operativen Bereich Pflegepersonal der Anästhesiologie sowie OP-Pflegepersonal frei. Aufseiten des ärztlichen Personals können ebenfalls durch das reduzierte Elektivprogramm frei werdende Kräfte rekrutiert werden. Auch hier stehen an erster Stelle die Ärzte bzw. Ärztinnen aus dem Bereich der Anästhesiologie. Alle diese Überlegungen, unterschiedlich ausgebildetes Pflege- und ärztliches Personal aus anderen Bereichen zu rekrutieren, setzen eine modulare und individuell angepasste Schulung im Vorfeld – und nicht „5 Minuten vor 12“ – voraus. Aus diesem Grunde wurden „Empfehlungen zu Schulungen von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen bei Einsatz während der COVID-19-Pandemie“ publiziert.
Möglichkeiten zur räumlichen Aufrüstung von Intensivbetten
Eine große Herausforderung besteht in der Organisation einer intensivmedizinischen Raumordnung, die eine stufenweise bedarfsgerechte Eskalation der Behandlungskapazitäten erlaubt und deren „point of no return“ möglichst weit oben in der Eskalationsskala liegt. Ein solcher Punkt wäre beispielsweise die Öffnung der OP-Bereiche für die Beatmungstherapie von infektiösen Patientinnen und Patienten. Zur Aufrüstung zu Intensivstationen kommen u. a. infrage:
- Aufwachraum
- Intermediate Care Station
- Beobachtungsstation einer Notaufnahme
Die Trennung in einen Infektions-Intensivbereich und einen infektionsfreien Intensivbereich ist unbedingt anzustreben. Ebenso sollte eine operative infektionsfreie Zone eingerichtet und unter allen Umständen erhalten werden, um infektionsfreie Notfälle adäquat behandeln zu können. Hierzu macht das RKI Vorgaben (siehe www.rki.de).
Ressourcenmangel, Triage und „Mass critical care“
Auf dem Level der dekompensierten Krisenversorgung wird ein Krankenhaus an den Punkt gelangen, wo der Ressourcenmangel die behandelnden Ärzte bzw. Ärztinnen zu einer Triage bzw. Priorisierung und einer limitierten und priorisierten Verteilung der Ressourcen zwingt. Die Forderung nach einem staatlichen Gremium, das Behandlungsentscheidungen im Rahmen der Covid-19-Erkrankung auf Grundlage der Triage verbindlich regelt, wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt (siehe Pressemitteilung des BVerfG Nr. 74/2020 v. 14.08.2020).
Obwohl ethisch-moralisch gesehen eine Triagierung/Priorisierung nicht stattfinden sollte, sollte dennoch für den Fall einer „Mass critical care“ ein transparentes und konsistentes Vorgehen geschaffen werden. Zu dem Themenkomplex „Allokation von Intensivkapazitäten während der COVID-19-Pandemie“ existieren mittlerweile erste internationale Übersichten (Sprung CL, Joynt GM, Christian MD, Truog RD, Rello J, Nates JL. Adult ICU Triage During the Coronavirus Disease 2019 Pandemic: Who Will Live and Who Will Die? Recommendations to Improve Survival. Crit Care Med 2020;48(8):1196-1202; dos Santos MJ, Martins MS, Santana FLP, Furtado M, Miname F, Pimentel R et al. COVID-19: instruments for the allocation of mechanical ventilators-a narrative review. Crit Care 2020;24(1):582). Grundsätzlich ist die Triage bzw. Priorisierung ein dynamischer Prozess, der zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Behandlung in einem Krankenhaus bei einer Mangelsituation nach den Kriterien der Dringlichkeit und der klinischen Erfolgsaussicht erfolgen sollte. Die Triage im Rahmen der COVID-19-Pandemie ist nicht nur ethisch, sondern nun auch juristisch (aktuelle Verfassungsbeschwerde wegen gesetzgeberischen Unterlassens) mittlerweile zu einem bedeutenden Thema geworden. Um solche Triage-Entscheidungen, welche einem multifaktoriellen Entscheidungsprozess unterliegen, in einer gerechten Art und Weise abzubilden, bedarf es weiterer Diskussionen. Basierend auf der Gleichbehandlung sind „alle“ Patientinnen und Patienten unabhängig vom COVID-Status, welcher einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen, einzubeziehen.
Unterstützungsangebote für alle Mitarbeitenden
Triage-Entscheidungen können für die beteiligten Mitarbeitenden eine große Herausforderung und Belastung darstellen. Unterstützung für den Entscheidungsprozess und die Kommunikation der Entscheidung sowie Handreichungen zur psychosozialen Unterstützung finden sich unter (www.awmf.org):
Diskussionspapier der AEM (Akademie für Ethik in der Medizin) – Möglichkeiten und Grenzen von Ethikberatung im Rahmen der COVID-19-Pandemie (Stand: 31.03.2020)
Psychische Belastungen von Gesundheitspersonal im Umgang mit moralischen Konflikten (15.04.2020), Akademie für Ethik in der Medizin-AEM.
Psychosoziale Unterstützung: Zur psychosozialen Unterstützung der Mitarbeitenden sowie der Patientinnen und Patienten und ihrer Zugehörigen sind Empfehlungen u. a. von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) erstellt worden.
Raumordnung
Ein wesentlicher Fokus des Managements einer Pandemie an Krankenhäusern ist die Vermeidung von nosokomialen Übertragungen.
Dies beinhaltet zwei Aspekte, zum einen die Übertragung auf Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen und zum anderen die Übertragung zwischen Patienten bzw. Patientinnen im Krankenhaus, die dringend vermieden werden müssen. Die Werkzeuge hierzu sind die konsequente Trennung von Verdachtsfällen und nachgewiesenen Fällen sowie die strikte Einhaltung hygienischer Vorgaben einschließlich der korrekten Verwendung von Persönlicher Schutzausrüstung/PSA.
Um eine räumliche Trennung von infektiösen Patientinnen und Patienten von den anderen Patientenwegen sicherstellen zu können, sind für die Krankenhäuser aufwendige Maßnahmen erforderlich:
Einrichten von getrennten Bereichen u. a.:
- In der Notaufnahme (Kohorten- bzw. Isolierzimmer)
- Auf den Normalstationen, Intermediate-Care- und Intensivstationen
- Im Kreißsaal
- Im Operationstrakt (z. B. septische OP)
All diese Maßnahmen sind material- und personalintensiv und erfordern eine sorgfältige interdisziplinäre und interprofessionelle Planung. Zur weiteren Information sei an dieser Stelle auf die sehr detaillierte Homepage des Robert Koch-Instituts (RKI) verwiesen.
Hygienemaßnahmen, Persönliche Schutzausrüstung, Schulung
Die Einhaltung der Basishygiene ist von größter Bedeutung für den Schutz des Krankenhauspersonals und zur Vermeidung nosokomialer Übertragungswege.
Darüber hinaus gibt es ergänzende spezielle Maßnahmen, die unbedingt zu beachten sind. Die Internetseiten des RKI www.rki.de geben dezidiert und immer wieder aktualisiert entscheidende Informationen hierzu. Um die Hygienevorschriften zu befolgen, wird PSA in ausreichender Menge benötigt. Hierin liegt eine große Herausforderung für den Bereich Einkauf/Beschaffung und die KEL. Die Bestände müssen engmaschig überwacht werden. Die Aufgabe des Krankenhauses ist es, sämtliche erforderlichen Hygienemaßnahmen zu schulen. Dies kann durch die Hygienefachkräfte, durch Multiplikatoren oder auch durch elektronische Medien erfolgen. Entscheidend ist die flächendeckende und wiederholte Schulung des Personals. Werden in kritischen Bereichen Kräfte eingesetzt, die im Rahmen der Pandemie extra rekrutiert wurden (z. B. Studierende der Medizin), ist es wichtig, diese intensiv zu schulen.
Besuchsregelung
Im Rahmen der Pandemie werden strenge Regelungen und Maßnahmen erlassen, welche harte Einschnitte in das alltägliche Leben nach sich ziehen. Auch in Krankenhäusern sind solche Maßnahmen erforderlich. Hierzu zählt die Einschränkung bzw. das generelle Verbot von Besuchen für die stationären Patientinnen und Patienten.
Gerade für diesen sensiblen Bereich müssen Regelungen definiert werden, wie eine solche Einschränkung mit Augenmaß umgesetzt wird. Die Definition von Ausnahmen, z. B. Besuch bei Sterbenden, Demenzkranken oder die Betreuung von Kindern durch die Eltern, muss in ärztlicher und pflegerischer Entscheidungskompetenz bleiben.
Insbesondere das Ermöglichen der Begleitung der nur noch mit palliativer Zielsetzung therapierten Patientinnen und Patienten durch Angehörige (unter Berücksichtigung der hygienischen Vorgaben) stellt sowohl für die Würde des Sterbenden bzw. der Sterbenden als auch für die Akzeptanz der Therapiebegrenzung bei Angehörigen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, neben der Berücksichtigung der hygienischen Notwendigkeiten, einen äußerst wichtigen Aspekt dar.
Gründung einer psychosozialen Unterstützungsgruppe (PSU)
Auch in der kompensierten Phase der Krisenbewältigung ist das Behandlungsteam unter Umständen nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastet. Die Versorgung vieler schwerkranker Patientinnen und Patienten und die Herausforderung einer eventuell notwendigen Triage bringen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Krankenhauses möglicherweise an die Grenze der psychischen Belastbarkeit.
Eine weitere Gruppe, die es zu beachten gilt, sind die Patientinnen und Patienten selbst und die Angehörigen der Patientinnen und Patienten und Verstorbenen. Bedingt durch die Besuchseinschränkung in Krankenhäusern ist ihnen der Zutritt zu ihren Angehörigen während der Sterbephase zumindest erschwert.
Durch Gründung einer psychosozialen Unterstützungsgruppe mit vielfältigen Angeboten können die psychischen Auswirkungen auf Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen und Angehörige gemindert werden und gemeinsame Bewältigungsstrategien entwickelt werden. Handlungsempfehlungen zur klinischen psychosozialen Notfallversorgung im Rahmen von COVID-19 wurden von der Sektion Psychologische Versorgungsstrukturen und der Sektion Perspektive Resilienz in der Intensivmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) veröffentlicht.
Sicherheit
Um Zugangskontrollen durchführen zu können, sind Mitarbeiter- bzw. Mitarbeiterinnenausweise wichtig. Sollte ein Krankenhaus über keine Mitarbeiter- bzw. Mitarbeiterinnenausweise verfügen, so können übergangsweise personalisierte Beschäftigungsnachweise ausgegeben werden.
Gerade am Anfang der Pandemie sind in den Krankenhäusern vermehrt Diebstähle von PSA und Desinfektionsmitteln zu befürchten. Dieser Tatsache kann mit strengen Ausgaberegeln und Kontrollen auf Abteilungsebene begegnet werden.
Steuerung der Patienten- und Patientinnenströme
Die Steuerung der Patienten- bzw. Patientinnenströme stellt eine große Herausforderung dar. Es sind vier Wege zu bedenken, auf welchen Patienten bzw. Patientinnen in die Krankenhäuser gelangen.
- Primäreinweisung von Liegendkranken (via Rettungsdienst)
- Sekundäreinweisung von Liegendkranken, d. h. Verlegung zwischen zwei Krankenhäusern (Interhospital)
- Fußläufige Selbsteinweiser
- Hausärztliche Überweisung von fußläufigen Patientinnen und Patienten
Die Steuerung und Überprüfung der Patienten- bzw. Patientinnenströme sollte durch den Teamleader bzw. die Teamleaderin der Klinik erfolgen. Dieser Teamleader bzw. diese Teamleaderin benötigt weitreichende Kompetenzen, vor allem aber ein gutes Kommunikationsmanagement. In einigen Städten und Landkreisen wird die Steuerung der präklinischen Einweisungen durch ein Notfallmanagementsystem „Ivena“ (Interdisziplinärer Versorgungsnachweis) abgedeckt.
Bei Zunahme der fußläufigen Patientinnen und Patienten kann es notwendig sein, diese Patienten bzw. Patientinnen außerhalb der Klinik (z. B. über die Einrichtung einer Fieberambulanz) oder durch Schaffung einer infektiologischen Einheit der Notaufnahme zu triagieren und weiterzuleiten. Diese personalintensive Maßnahme kann oftmals nur durch freiwillige Helfer aus dem pflegerischen und ärztlichen Bereich (Klinikärzte bzw. Klinikärztinnen, Niedergelassene) umgesetzt werden.
Hinweis:
Der vorstehende Text ist auszugsweise dem Artikel „Massenanfall kritisch kranker Patienten, „mass critical care“ im Krankenhaus am Beispiel der SARS-CoV-2 Pandemie“, Wurmb, Scholtes, Kolibay, Franke, Kowalzik. Empfehlung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus Einsatzplanung DAKEP e. V. zum Management der SARS-CoV-2-Pandemie an Krankenhäusern, entnommen.