Schwergewichtige Menschen gesund und sicher versorgen
In den Einrichtungen des Gesundheitswesens sind immer häufiger sehr schwere und stark übergewichtige Menschen zu versorgen. Dies ist eine Aufgabe mit vielfältigen Herausforderungen einerseits für die Arbeitssicherheit, aber auch eine menschenwürdige Pflege und medizinische Versorgung. Entscheidend ist hier eine gute Vorbereitung der Einrichtungen, bevor eine Aufnahmesituation eintritt.
Bisher sind nur wenige Krankenhäuser gut auf die Notfallversorgung schwergewichtiger Patientinnen und Patienten eingestellt. Die ersten Hürden tun sich bereits in der Notaufnahme auf: So fehlt es häufig bereits an geeigneten Patiententragen und Stühlen, Blutdruckmessgeräten und Pflegematerialien in den entsprechenden Größen. Funktionseinheiten zur Diagnostik wie zum Beispiel die Radiologie, der Herzkathetermessplatz und die Sonografie sind oft nicht auf schwere Menschen mit ihren entsprechenden Körpermaßen ausgerichtet. Sollte eine Operation notwendig sein, stehen ggf. nur OP-Tische zur Verfügung, die die Anforderungen an die sichere Arbeitslast nicht erfüllen und zudem eine viel zu schmale Liegefläche vorweisen. Aber auch der Transfer auf den OP-Tisch stellt bereits eine Herausforderung dar, da Patientenumbetter häufig nur bis maximal 180 kg ausgelegt sind.
Übergewicht und Adipositas in Zahlen
Ob jemand übergewichtig ist, wird in der Regel anhand des Body-Mass-Indexes (BMI) bestimmt. Der BMI entspricht dem Körpergewicht geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat. Dabei werden das Gewicht in Kilogramm und die Größe in Metern berücksichtigt: BMI = kg/m2.
Nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation beginnt Übergewicht bei einem BMI von 25, ab einem BMI von 30 spricht man von starkem Übergewicht oder Adipositas.
In Deutschland sind derzeit knapp 47 Prozent der Frauen und 61 Prozent der Männer übergewichtig. Der Anteil der adipösen Menschen liegt bei Frauen und Männern bei ca. 18 Prozent[Quelle].
Inwiefern sich für die Pflege und medizinische Versorgung eines Menschen aufgrund seines Gewichts besondere Herausforderungen ergeben, hängt aber nicht allein vom BMI ab.
Beispiel 1: Eine nicht gehfähige Patientin ist 1,60 Meter groß und 80 Kilo schwer. Sie hat einen BMI von 31,2 und ist damit stark übergewichtig. Die runde Körperform erschwert das Bewegen dieser Patientin, aber die regulären Hilfsmittel und die sonstige Ausstattung des Krankenhauses reichen hier vollkommen aus.
Beispiel 2: Ein ebenfalls nicht gehfähiger Patient misst 2,05 Meter und wiegt 115 Kilo. Er hat einen BMI von 27,4 und gilt damit noch nicht als adipös. Trotzdem kann er aufgrund seines Gewichts nur mit Hilfsmitteln bewegt werden. Gleichzeitig ist hier auf die Belastbarkeit der Geräte und Materialien zu achten.
Belastungen für das Muskel-Skelett-System der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Viele Tätigkeiten in der Pflege, Betreuung und Therapie belasten das Muskel-Skelett-System der Beschäftigten. Insbesondere ist hier Unterstützung der Bewegung oder deren nahezu vollständige Übernahme (z.B. Transfer) bei bewegungseingeschränkten Personen zu nennen.
Wie belastend solche Tätigkeiten für den Körper der Beschäftigten sein können, hängt nicht ausschließlich vom Gewicht der unterstützenden Person ab. Die potentielle Belastung steigt jedoch mit zunehmendem Körpergewicht der Patientinnen und Patienten. Dies konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden.
Vorbereitung für die Aufnahme schwergewichtiger Personen
Die Einrichtungen des Gesundheitswesens sind gefordert, sich auf die Aufnahme schwergewichtiger Personen vorzubereiten. Dies gilt für einerseits für Notfallsituationen, die in erster Linie Rettungsdienste und Krankenhäuser betreffen. Aber auch sogenannte geplante Aufnahmen schwergewichtiger Personen in Krankenhäusern, Altenpflegeeinrichtungen oder beispielsweise in Einrichtungen der teilstationären oder ambulanten Pflege können systematisch vorbereitet werden.
Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere drei Themenfelder:
- Die Gestaltung des Arbeitsplatzes (bauliche und technische Aspekte)
- Die Ausstattung mit und Nutzung von geeigneten Arbeits- und Hilfsmitteln
- Die Organisation der Versorgung schwergewichtiger Menschen (Arbeitsorganisation)
Die nachfolgend aufgeführten Hinweise beziehen sich in erster Linie auf Arbeitsstätten im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 1 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV): „Arbeitsstätten sind: Arbeitsräume oder andere Orte in Gebäuden auf dem Gelände eines Betriebes“. Dies bezieht insbesondere Krankenhäuser, Pflege- und Wohnheime, Tagespflegeeinrichtungen ein, aber z.B. auch ärztliche oder physiotherapeutische Praxisräume.
Für die Arbeit in Privatwohnungen (z.B. im Rahmen ambulanter Pflege) oder in Kranken- oder Rettungswagen müssen weitere bzw. andere Aspekte betrachtet werden.
Gestaltung des Arbeitsplatzes (bauliche Aspekte)
In baulicher Hinsicht sind unter anderem folgende Fragen zu klären:
- Insbesondere in Altbauten müssen Fragen der Statik geklärt werden:
Bis zu welchem punktuellen Gewicht sind die Decken belastbar?
Das Bett hat in der Regel vier oder fünf Auflagepunkte (Rollen), auf denen das gesamte Gewicht des Bettes inklusive der darin liegenden Person lastet.
Spezialbetten wiegen über 350 kg. Hinzu kommt das Gewicht der Person, zum Beispiel 250 kg, und eventuell Equipment am oder im Bett. Gesamtgewichte von 700 bis 900 kg (!!!) sind dann schnell erreicht. - Behindern Schwellen, Gitterroste oder andere Unebenheiten im Boden die Einlieferung schwergewichtiger Personen in die Einrichtung und den Weitertransport in andere Bereiche?
- Sind die Bodenbeläge auf entsprechend schwere Pflegebetten und Hilfsmittel ausgelegt?
- Reichen räumliche Abmessungen und die Tragkraft der Aufzüge, um schwergewichtige Personen - gegebenenfalls in schweren Spezialbetten zusammen mit Hilfsmitteln, medizinischem Gerät und Begleitpersonen – in andere Stockwerke zu bringen?
- Gibt es in der Einrichtung Verkehrswege mit Gefälle, die mit der Patientin bzw. dem Patienten befahren werden müssen, um zum Beispiel eine Funktionsabteilung erreichen zu können?
- Reichen die Türbreiten und Kurvenradien im Gebäude aus, um extrabreite Spezialbetten sicher zu bewegen?
- Bieten Patienten-/Bewohnerzimmer und Nasszellen genügend Bewegungs-, Stell- und Lagerflächen?
- Sind die vorhandenen Geländer und Handläufe so stabil, dass sie gehfähigen schwergewichtigen Personen sicheren Halt geben?
- Welches Lastgewicht halten die in der Regel wandmontierten Toiletten aus? Hier sind vor allem die Frage der Montage oder Verdübelung und die Art des Mauerwerkes zu beachten.
- Bis zu welcher Aufstützlast halten Waschbecken und wandmontierte Haltegriffe/Stützklappgriffe, ohne aus der Wand zu brechen?
Ausstattung mit und Nutzung von geeigneten Arbeits- und Hilfsmitteln
Schwergewichtige Personen sind ohne Hilfsmittel kaum mehr sicher und ergonomisch zu transferieren oder in ihrer Mobilität zu unterstützen. Daher ist der Einsatz von Hilfsmitteln unumgänglich. Auch müssen sämtliche relevanten Einrichtungsgegenstände, Geräte und Hilfsmittel hinsichtlich ihrer sicheren Arbeitslast (maximale Belastbarkeit) überprüft werden. Das ermittelte Gewicht sollte deutlich auf den Gegenständen vermerkt werden.
Hinsichtlich der Einhaltung der sicheren Arbeitslast ist nicht nur das Gewicht der jeweiligen Person zu berücksichtigen, sondern zum Beispiel bei Betten auch das Gewicht der Matratze und von Anbauteilen wie z. B. Seitensicherungen, Infusionsständer, Antidekubitusmatratze mit Motor.
Technische Hilfsmittel
Technische Hilfsmittel sind bei der Versorgung nicht gehfähiger schwergewichtiger Menschen in Einrichtungen des Gesundheitswesens unverzichtbar.
- Lifter helfen zum Beispiel beim sicheren Umlagern oder Umsetzen von Personen oder beim Aufheben vom Boden, wenn jemand gestürzt ist.
Mobile Lifter sind flexibel einsetzbar. Fest installierte Deckenliftersysteme sind allerdings vorzuziehen, da sie keine Stellfläche benötigen. - Mobile Aufstehhilfen unterstützen das Umsetzen von Personen von der Bettkante in den Roll- oder Toilettenstuhl. Zudem erleichtern sie das Anziehen der Kleidung.
- Schiebehilfen für Betten (Bed Mover) sind spezielle Flurförderzeuge. Die Betten werden statt mit Muskelkraft mit Motorkraft bewegt.
Kleine Hilfsmittel
Ergänzend unterstützen kleine Hilfsmittel das Bewegen von Personen.
- Gleithilfen reduzieren den Reibungswiderstand beim Positionieren von Personen im Bett.
- Rollbretter helfen dabei, bewegungseingeschränkte Personen zum Beispiel von einer Trage ins Bett sicher horizontal umzulagern.
- Antirutschmatten bieten der Person im Bett Halt, wenn sie sich mit den Fersen auf der Matratze abdrücken will, um in Richtung Kopfende zu rutschen.
Empfehlung
Stationären Einrichtungen – egal ob Krankenhaus oder Altenpflegeeinrichtung - ist zu empfehlen, einige Pflegezimmer – möglichst im Erdgeschoss – präventiv für die Versorgung schwergewichtiger Personen vorzubereiten. Dort sollten besonders leistungsfähige Deckenlifter installiert sein!
Zudem sollten ausreichend dimensionierte Pflegebetten und weitere geeignete Hilfsmittel vorgehalten werden. Rollstühle und Rollatoren gibt es selbst in Übergrößen auch in zusammenfaltbarer Ausführung. So lassen sie sich bei Platzmangel zusammen mit den relevanten kleinen Hilfsmitteln in Schränken verstauen.
Insbesondere unter Kosten(übernahme)aspekten kann es sinnvoll sein, präventiv Kontakt zu Anbietern von Medizinprodukten für Schwergewichtige herzustellen. Können entsprechende Hilfsmittel nicht vorgehalten werden, kann die zeitnahe Lieferung (Kauf oder Vermietung) von geeigneten Hilfsmitteln im Akutfall vereinbart werden. Dabei sollten auch Begriffe wie „zeitnah“ definiert und vertraglich dokumentiert werden. Dies ist wichtig, um die sichere Versorgung der schwergewichtigen Person sicher zu stellen. Werden dazu ungeeignete Hilfsmittel (z.B. mit zu geringer Arbeitslast) verwendet, handelt es sich um eine nicht zweckmäßige Bestimmung eines Medizinproduktes.
Bei der Auswahl der Hilfsmittel für schwergewichtige Personen kommt es neben der Arbeitslast häufig noch auf weitere Faktoren an. Bei Betten für die Pflege Schwergewichtiger beispielsweise sollte die Liegefläche 120 bis 150 cm breit sein, damit die Person genügend Platz hat, sich auf die Seite zu drehen. Die elektrische Verstellbarkeit, die schon bei regulären Pflegebetten wichtig ist, ist hier unverzichtbar. Auch eine integrierte Wiegevorrichtung kann nützlich sein, um der schwergewichtigen Person und den Beschäftigten im Pflegealltag den Transfer auf die Waage zu ersparen.
Die Einsatzmöglichkeiten und die sichere Arbeitslast von kleinen und großen Hilfsmitteln können in der „Hilfsmitteldatenbank“ nachgeschaut werden.
Organisation der Versorgung schwergewichtiger Menschen (Arbeitsorganisation)
Unabhängig von der Organisation der Arbeit in der direkten Pflege- oder Betreuungssituation gibt es weitere Aufgaben, die in den Einrichtungen des Gesundheitswesens auf organisatorischer Ebene zu regeln sind, z.B.:
- Führen einer Inventarliste, aus der auch die sichere Arbeitslast der unterschiedlichen Hilfsmittel hervorgeht
- Beschriftung der Hilfsmittel (z.B. Lifter, Duschstühle) und Einrichtungsgegenstände (z.B. Röntgen- oder OP-Tische) mit der sicheren Arbeitslast
- Erstellung einer Handlungsanweisung/Leitlinie für die Aufnahme schwergewichtiger Personen
- Regelmäßige Unterweisung der Beschäftigten in der Nutzung der vorhandenen Hilfsmittel sowie in geeigneten Bewegungs- und Transferkonzepten
- Klärung, ob es einen geeigneten mobilen Lifter gibt, der in der Lage ist, eine schwere Person die gestürzt ist, vom Fußboden aufzuheben
- Planung der Evakuierung schwergewichtiger Personen im Brandfall:
In welchem Stockwerk befindet sich diese Personen? Da die Aufzüge in der Regel nicht genutzt werden können, muss die „manuelle“ Evakuierung über ein Treppenhaus in Erwägung gezogen werden. Kann die Feuerwehr ggf. das Zimmer von außen mit einer Drehleiter erreichen, und wenn ja, bis zu welchem Gewicht ist das Ausleitern möglich? - Bei Aufnahme einer schwergewichtigen Person sind der Dienstplan und die Arbeitsabläufe den Erfordernissen anzupassen. Es muss jederzeit ausreichend Personal vorhanden sein, um die schwergewichtige Person sicher zu versorgen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Untersuchungen, Behandlungen und Pflegetätigkeiten bei stark schwergewichtigen Menschen in der Regel länger dauern.
Viele diese Aufgaben sind für die Versorgung aller Personen von Bedeutung - nicht nur für Schwergewichtige.
Besonderheiten in der ambulanten Pflege
Im ambulanten Bereich sollte z. B. vor/bei Übernahme des Versorgungsauftrags bei schwergewichtigen Menschen geklärt werden, wie die statischen Voraussetzungen in der Wohnung sind, ob das Treppenhaus ausreichend breit ist und wie Tragkraft und Breite des Aufzugs sind. Dies ist notwendig, um z. B. Notfalleinsätze planen oder adäquate Hilfsmittel einsetzen zu können. Aber auch, um zu prüfen, ob eine ambulante Versorgung überhaupt sichergestellt werden kann oder ob die Versorgung anders organisiert werden muss.
Gleichzeitig müssen sich Pflegedienste z. B. auch darum kümmern, ob die Kostenübernahme für den erhöhten Arbeitsaufwand (z. B. regelmäßiger Einsatz von mind. zwei Beschäftigten) geklärt ist.
Psychische Belastung
Insbesondere bei fehlender oder unzureichender Ausstattung kann die Versorgung adipöser Patientinnen und Patienten aufgrund der außergewöhnlichen Pflegesituation auch zu psychischen Belastungen führen. Vorbeugen können neben den schon genannten baulichen technischen und organisatorischen Vorkehrungen auch gezielte Schulungen zum Thema Adipositas.
Empfehlung zur Vorgehensweise für die Bearbeitung des Themas
Die systematische Vorbereitung einer Einrichtung auf schwergewichtige Personen beginnt am besten mit einer systematischen Analyse der Situation vor Ort. Anhand der oben aufgeführten Kriterien lässt sich ermitteln, bis zu wie viel Kilogramm Körpergewicht Personen derzeit adäquat versorgt werden können.
Hieraus lassen sich die notwendigen Maßnahmen ableiten, die umgesetzt werden müssen, um im Bedarfsfall höhergewichtige Personen zu versorgen.
Insbesondere für Einrichtungen der Akutversorgung (primär Krankenhäuser) sollte auch ein Notfallplan für den Fall bestehen, dass eine schwergewichtige Person eingeliefert wird, die oder der mit der vorhandenen Ausstattung nicht sicher versorgt werden kann.
Die Erstellung einer allgemeinen „Handlungsanweisung: Aufnahme eines schwergewichtigen Personen“ ist für alle Einrichtungen des Gesundheitsdienstes sinnvoll. Die Beschäftigten sind entsprechend zu unterwiesen.
Es empfiehlt sich, in den beschrieben Prozess auch externe Kooperationspartner wie Feuerwehr, Rettungsdienst, Krankentransporte und externe Diagnostikeinrichtungen mit einzubeziehen.
Planen Sie die Versorgung schwergewichtiger Personen vorausschauend.
Die sichere und gleichzeitig ergonomische Bewegungsunterstützung schwergewichtiger Personen ist ohne Hilfsmittel kaum leistbar. Nutzen Sie entsprechende Hilfsmittel.
Der vorstehende Text basiert in Teilen auf der DGUV Information 207-010 „Bewegen von Menschen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege – Prävention von Muskel- und Skelett-Erkrankungen“.